Es war einmal, in einer weit zurückliegenden Epoche und in einem weit entfernten Land, ein Königreich. Dieses hieß Marve, benannt nach dessen Königin aus alter Zeit. Lange blühte es in aller Pracht auf und die dort lebenden Menschen waren glücklich und zufrieden. Doch dann, so die Geschichtsschreibung, tauchte ein Feind an seinen Grenzen auf. Goblins. So klein und schwach sie auch allein waren, so gefährlich waren sie in großer Zahl. Und es waren viele. Zu zehntausenden stürmten sie die Bastionen der Zivilisation. Doch es war die Zeit der Königin Serveta und sie war weise und nicht untätig. Schnell entsandte sie die Armee aus der Hauptstadt, es waren dreitausend Mann. Hinzu holte sie alle Bauern und Werkenden des Landes, die nicht anderswo gebraucht wurden, das waren zwanzigtausend. Trotzdem unterlagen sie in Zahlen eins zu zwei, doch nicht im Willen. Sie kämpften mit Leidenschaft und bis zum letzten Mann.
Und was am Anfang des Krieges nicht abzusehen war, gelang. Meter für Meter und Stadt für Stadt, drängten die Marvisen, wie sie sich selbst nannten, den Feind zurück. Doch Serventa war eine gütige Herrscherin und ein gerechter Gegner. Obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, vernichtete sie die kleinen rot- und grünhäutigen Rivalen nicht, sondern nahm sie in ihr Reich auf, zeigte ihnen die Vorzüge ihres Königreiches und sie lebten glücklich und zufrieden in allen Zeiten.
Zumindest ist es so überliefert. Die Geschichte wird von den Gewinnern geschrieben, so wie es schon immer war und die Wahrheit war weit von dem entfernt, was geschrieben steht. Zumindest aufgenommen hatte man die kleinen Kerle in das Königreich, doch unter den Menschen leben, wie unter gleichen, das taten sie nie. In Ketten gelegt, manche sichtbar, doch die allermeisten unsichtbar, mussten sie arbeiten und dienen, ohne je in Freiheit zu leben. Manch einer mag sagen, es sei die gerechte Strafe für die Angriffe auf die Menschheit, doch haben sie damit Recht?
Werfen wir unseren Blick doch mal auf die königliche Post. Trivial, mag der geneigte Leser denken, doch ich sage, dass dem nicht so ist. Sie verdeutlicht, was ich meine. Das Königreich Marve hat ein zentrales Postsystem. Aus allen Ländereien wird die Post in stattlichen Kutschen in die Hauptstadt Sylvas gefahren und dort sortiert und abgeschickt. In großen Lagerhäusern haben dazu die größten gelehrten des Landes eine gewaltige Maschine errichtet. Tag und Nacht stehen sie dort, die Goblins, in großen Rädern und an noch größeren Hebeln und halten die Maschine in Gang, sodass ihnen der Schweiß in Bächen über die nunmehr fahle, graue Haut läuft, denn zumindest die Goblins, über die ich hier schreibe, haben schon lange nicht mehr das Tageslicht gesehen.
An zahllosen Plätzen der Maschine waren Goblins und pickten aus schwimmenden Schalen die Sendungen hervor, sortierten sie und schickten sie in anderen Schälchen weiter. Hinter jedem Grüppchen stand ein Mensch, meist hochgewachsen und mit finsterer Miene. An seinem Gürtel trug er ein Messer, doch nur seine Peitsche benutzte er ohne Unterlass.
Weiter ging es über die schmalen Wasserrinnen der Kanäle zur nächsten Station. Hier wurde sortiert, was eilig war und was nicht. Und wehe dem Goblin, der es selbst nicht eilig hatte, denn ihrer gab es genug und die Menschen waren nicht zimperlich, doch das waren noch nicht die, die es am schlimmsten traf, denn zumindest standen sie noch an der Rinne und der Takt wurde gegeben von der ankommenden Post.
Anders traf es die, die unten standen. Ständig wurden sie getrieben, die Sendung, egal ob eilig oder nicht, in die Kutschen zu laden und wenn es nichts zu tun gab, so fand man etwas anderes, was es zu schleppen galt, egal ob Steine oder Holz, denn hier unten standen die gemeinsten der Menschen. Über all den körperlichen Strafen schwebte ständig die Angst, das Essen würde nicht kommen, denn an manchen Tagen waren die Aufseher so hungrig, dass sie die kargen Rationen ihrer Sklaven gleich mitaßen.
Es starben viele in den von außen so unscheinbaren Wirkungsstätten und kein Schrei drang nach draußen. Heute ist es anders?, mag sich mancher von euch fragen. Ich glaub es nicht, aber lange war ich nicht mehr dort, in der Stadt, die heute einen anderen Namen trägt.
Doch eins weiß ich. Noch immer sind die Goblins nicht frei. Gekettet sind sie an die Häuser, unser Reichtum erbaut auf ihrem Blut. Und die Post? Was ich so höre kommt sie immer noch. Jeden Tag, wie seit hunderten Jahren. Und wenn einer von euch Zweifel hat, dann fragt euch das: Hat einer von euch schon einmal einen Goblin gesehen, draußen in der Natur, mit roter oder grüner Haut, spitzen Ohren und gelben Zähnen?
– Narvtir Tradus von den drei Fingern, Gelehrter der güldenen Frau über die Goblins.