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Was bisher geschah…

Angela wurde von Tuck Brandel, getarnt als einfach Arbeiterin aus dem zweiten Kreis, auf den Hof von Bauer Troy geschickt, damit sie ihm ein Angebot machen kann. Tuck Brandel benötigt dringend Nahrung für seine unterirdische Arena und macht dem Bauern ein Angebot, damit dieser nicht im ständigen Spiel seiner Konkurrenten zermahlen wird.
Troy hat keine andere Wahl als anzunehmen. Da Herr Brandel dem fettwanstigen Mann jedoch nicht traut, hat er Angela befohlen, sich dauerhaft an den Hof des Bauern zu begeben.

Einstieg ins Haus

Die Nacht war pechschwarz und nur vereinzelt blinkte Sternenlicht durch den verhangenen Himmel. Es roch nach Regen und ranzigem Fett vom Essen. Angela stand an die Wand einer Baracke gelehnt und kaute auf einer Mischung aus verschiedenen Pflanzen. Der Saft der Stängel sammelte sich an ihrer Lippe. Es schmeckte bitter, doch immerhin betäubte es die Schmerzen, die jeden Monat über sie kamen.
Ihr Blick ruhte auf der Fassade des Bauernhauses, auf der ausgeblichenen Farbe, den teilweisen blinden Fensterscheiben und dem rissigen Türrahmen, dessen grüne Farbe nur noch zu erahnen war. Trotz der großzügigen Hilfe ihres Herren, hatte sich Bauer Troy noch nicht darum bemüht, seinem Anwesen wieder zu altem Glanz zu verhelfen.
Eine Schande, dachte Angela. Das Haus ist eigentlich recht hübsch. Man könnte viel daraus machen. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Einige der Kräuter fielen hinaus und gesellten sich zu den anderen Resten auf dem Boden. Sie bemerkte es nicht einmal, ihr Mund war taub.
Ihr Plan hatte sich als nicht so erfolgreich herausgestellt, wie sie vor einigen Wochen gehofft hatte. Und alles beruhte auf einer simplen Fehleinschätzung. Sie hatte erwartet, dass die Aufseher der Arbeiter mit im Haus wohnten oder zumindest ungestörten Zugang hatten. Doch dem war nicht so. An ihrem ersten Tag wollte sie sich mit dem Haus vertraut machen. Der alte Vorarbeiter war – und ihr Lächeln wurde bei dem Gedanken daran noch ein wenig breiter – verschwunden und durch den Einfluss von Herrn Brandel hatte man ihr die Stellung überlassen. Doch die Wachen hatten sie nur abfällig angeschaut und sie wieder weggeschickt.
Angela nahm sich ein paar neue Kräuter aus der Tasche und steckte sie in ihrem Mund. Sie mochte es nicht, auf diese Kräuter angewiesen zu sein und wenn sie in der Stadt gewesen wäre, hätte sie die Schmerzen einfach ausgehalten, doch hier musste sie ständig einsatzbereit sein.
Nur zwei Personen wussten hier um ihre Verbindung zu Herrn Brandel, Bauer Troy und sie selbst. Und diese Verbindung musste geheim bleiben. Und deshalb konnte sie nicht einfach verlangen, dass er sie empfing. Ihr blieb nichts anderes übrig, als wieder durch das Fenster in das Anwesen einzusteigen. Ihr Lächeln verblasste, als sie sich an das Schloss erinnerte, welches nun davor hing. Es mag sich vielleicht einfach anhören ein Schloss zu knacken, doch es wird ungleich schwieriger, wenn man sich in drei Meter Höhe und sich das Schloss zudem auf der falschen Seite des Glases befindet.
Sie hatte einem Boten eine verschlüsselte Nachricht für Herrn Brandel mitgegeben, in der sie über diese Vorkommnisse berichtete. Beinahe hoffte sie, dass er sich einen neuen Partner suchen würde und sie wieder innerhalb der Stadtmauern berufen wurde, doch sie wusste, dass dies nicht geschehen würde. So unvorstellbar es auch bei jemandem wie ihm war. Herr Brandel hatte keine Wahl, außer an seinem Geschäft mit Bauer Troy festzuhalten und sie musste dafür sorgen, dass dieser sich auch an seinen Teil der Abmachung hielt.
»Ich geh schlafen Lisa. Sieh zu, dass du deine Runden machst.« Angela blickte auf. Sie hatte sich noch immer nicht ganz an den neuen Namen gewöhnt.
»Natürlich. Gute Nacht.«, sagte sie und blickte dem etwas rundlichem Mann hinterher, der in die etwas komfortablere Baracke des Aufseher ging. Er hieß Matthias und war der neue Hauptmann der Aufseher. Diese Stellung hatte man der Neuen dann doch nicht geben wollen. An der Tür drehte er sich noch einmal um und fixierte sie mit seinen großen runden Augen, seines zum restlichen Körper passenden Mondgesichts. Er deutete zuerst mit zwei Fingern seiner Rechten auf sich selbst, dann auf Angela. Sie wartete, bis er in seiner Schlafstätte verschwunden war, dann schüttelte sie den Kopf.  Er war ein fauler Mann. Faul und nicht sehr intelligent. Keine gute Mischung.
Sie blickte sich um und lauschte. Aus der Baracke hinter ihr – eine in der die Arbeiter hausten – war alles still. Ab und zu war ein leises Husten oder ein Stöhnen zu hören, doch das war auch alles. Niemand verbrachte den Tag auf den Feldern und hatte abends noch Kraft oder Lust, sich mit anderen zu unterhalten oder kam auf die Idee einen Erkundungsausflug über die Ländereien zu wagen. Das war eh unmöglich. Bereits an ihrem ersten Tag hatte sie die Luftspalte der Toiletten so weit verkleinert, dass nicht einmal mehr ein Kind sich hindurchzwängen konnte. Sicher war sicher.
»Endlich«, sagte Angela nach einer Weile. Im oberen Stockwerk des Anwesens war das Licht im Zimmer des Bauern erloschen und nun lag es, genau wie alle anderen Zimmer, pechschwarz vor ihr. Sie würde noch einige Minuten warten und sich dann ans Werk machen. Von der Köchin wusste sie, dass die Hintertür zwar bewacht war, doch der Wachmann dort immer mehr trank, als ihm gut tat. Es würde ein leichtes sein, sich an ihm vorbeizuschleichen.
Die Tür der Aufseher-Baracke wurde geöffnet und sie glaubte in der Dunkelheit zwei kleine Augen zu erkennen, die sie beobachteten. Mit einem Seufzer stieß sich die Dienerin von der Wand ab und trottete um die Arbeiterbehausungen herum. Matthias würde so lange in die Nacht starren, bis sie sich wieder in der knisternden Nähe des Wachfeuers befand. Er war faul und nicht sehr intelligent, doch unglaublich misstrauisch. Das kann noch zu einem Problem werden, dachte Angela, während sie das erste Gebäude umrundete. Doch darum werde ich mich kümmern, wenn es so weit kommen sollte.
Nach gut zehn Minuten trat sie wieder in den flackernden Schein der Flamme. Das Holz qualmte und knackte als wäre es nicht lange genug gelagert worden und ein verkohlter Geruch lag in der Luft. Eine Tür wurde zugeschlagen und die stierenden Augen waren verschwunden. Angela blickte zum Anwesen. Die Lichter waren immer noch aus. »Dann los«, flüsterte sie in die Nacht hinein und spuckte die restlichen Kräuter ins Feuer. Die Wirkung sollte lange genug anhalten, bis der Auftrag erledigt war. Sie musste nur Acht geben, sich nicht anderweitig zu verletzen, denn auch das würde sie nicht bemerken. Diese Pflanzen betäubten das gesamte Schmerzgefühl des Körpers.
Sie wartete noch, bis sich die Wachen zu ihrer Runde um das Haus aufmachten, dann schlich sie zur Hintertür. Sie war schlicht und aus dem gleichen Holz, wie der Rest der Fassade, doch ungleich rissiger und sie wirkte modrig. Angela rümpfte die Nase. Das Holz roch nach fauligen Eiern.
Mit ein paar geübten Handgriffen und dem Einsatz ihrer Dietriche, die sie unter der weiten Leinenkleidung verborgen hielt, schwang die Tür mit einem lauten Knarren auf. Sie schrak zusammen und blickte sich um, doch sie konnte keine Schritte hören, die sich ihr schnell näherten. Gut, dachte sie.
Der Flur hinter der Tür lag im Dunkeln, doch sie konnte den rasselnden Atem einer Person hören. Vorsichtig tastete sie sich voran, bis ihr Fuß auf etwas hartes traf. Der Atem wurde lauter und sie konnte die Wärme der anderen Person spüren, die sich nur wenige Schritte vor ihr befinden musste. Sie wagte es nicht, den Wachmann zu berühren. Stattdessen ließ sie sich auf alle Viere hinab und tastete um den Mann herum. Sie fand was sie vermutet hatte. Eine Öllampe, die umgekippt auf dem Boden lag.
Dieser Idiot hätte das gesamte Anwesen und die Felder niederbrennen können, dachte sie und hob das Leuchtmittel auf.  Wenige Fingerbreit weiter fand sie mehrere Flaschen, dem Gewicht nach leer und einen Runden Teller, ebenfalls leer. Erst jetzt fiel ihr der leicht fruchtige Geruch in der Luft auf. Sie nahm eine der Flaschen und Roch daran. Billiger Wein. Dann richtete sie sich wieder auf und roch an dem Mann, dort wo sie sein Gesicht vermutete. Der gleiche Geruch. Der würde so schnell nicht mehr aufwachen.
Bewaffnet mit der erloschenen Lampe schlich sie weiter, immer an der Wand entlang tastend.
Plötzlich verhakte sich ihr Zeigefinger und sie musste ihn zurückziehen. In der Dunkelheit konnte sie nicht erkennen, was passiert war, doch die konnte eindeutig die Tropfen hören, die auf den Boden fielen. Ich muss mir etwas in den Finger gerammt haben. Sie betastete die entsprechende Stelle, konnte aber keinen Splitter finden. Es war viel zu Dunkel und die Kräuter unterdrückten neben den Schmerzen auch zum größten Teil das Tastgefühl. Schließlich gab sie auf und tastete weiter, ohne etwas zu spüren. Doch es half ihr zumindest, sich nicht in der Dunkelheit zu verirren.
Schließlich fand sie eine weitere Tür und schob sich hindurch.
Hier roch es anders, nach Gewürzen und Fett. Die Küche, schoss es ihr durch den Kopf. Und in der Küche gibt es auch Töpfe, war ihr nächster Gedanke. Verdammt. Sie durfte auf keinen Fall Lärm machen. Millimeter für Millimeter schob und tastete sie sich vorwärts und mehr als einmal wäre sie fast mit umherhängenden Pfannen und Töpfen kollidiert, schaffte es aber immer rechtzeitig auszuweichen.
Der Boden unter ihren Füßen klebte leicht und mit jedem ihrer Schritte erzeugte sie ein schmatzendes Geräusch. Wahrscheinlich hatte die Köchin hier Suppe verschüttet und es vergessen, ihren Fehler zu beseitigen. Kurz überlegte sie, ihr Feuerzeug hervorzuholen und die Lampe zu entzünden, doch das Risiko war ihr zu groß. Erst wenn sie im Zimmer des Bauern war, würde sie Licht machen. Zwischendurch wurde die Stille immer wieder vom Tropfen ihres Blutes unterbrochen.
»Hast du das auch gehört?«, sagte eine Stimme. Sie klang dumpf und leise. Angela schlussfolgerte, dass der Ursprung hinter einer weiteren Tür oder dünnen Wand sein musste. Das Blut gefror ihr in den Adern und kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. War sie entdeckt worden? Angestrengt lauschte sie, doch sie konnte nicht hören, dass jemand in ihre Richtung ging.
»Ach. Du bildest dir wieder was sein.«»Ich weiß doch, was ich gehört habe.«
»Und wenn schon. Das waren nur die Ratten. Du hast zu tief ins Glas geschaut, das hast du. Und jetzt bildest du dir an jeder Ecke wieder ein, was gesehen zu haben.« Angela hielt die Luft in ihren Lungen. Sie begannen zu brennen, doch sie wagte es nicht zu atmen. Was würde Herr Brandel denken, wenn sie versagte? Sie mochte es sich gar nicht ausmalen. Schritte drangen an ihr Ohr, doch sie entfernten sich. Dann blieben sie wieder stehen. Ein Korken wurde aus einem Flaschenhals gezogen. Sie kannte das Geräusch ganz genau. Tausende Male hatte sie es in den Quartieren der Armee gehört.
»So ist gut. Trink noch einen und halt die Klappe«, sagte wieder der andere und lachte. Angela hörte Schlucke und dann einen Rülpser. Zeit zu gehen, dachte sie und drehte sich so leise wie möglich, auf dem Absatz um. Noch immer wagte sie es nicht zu atmen, obwohl ihr schon die ersten Tränen in den Augenwinkeln standen. Erst als sie das leise Schnarchen aus dem Flur vernahm ließ sie die Luft entweichen.
Warum sind hier so viele Wachen?, fragte sie sich. Sie nahm sich vor den Bauern danach zu fragen. Es machte schlichtweg keinen Sinn. Die Stellung des Bauern hatte sich in den letzten Wochen stark verbessert. Nur wenige wussten, woher das neue Geld gekommen war, womit er sich schließlich das angrenzende Land einverleibt hatte, doch seine Konkurrenten mussten einsehen, dass sie ihn nicht so einfach aus dem Geschäft drängen konnten.
Vielleicht hat er Angst davor, ermordet zu werden? Oder gar, dass sein neuer Geschäftspartner ihm hinterherspioniert?, dachte sie und musste lächeln, während sie sich an der Wache vorbei schob und nach einer anderen Tür suchte. Mittlerweile hatten sich ihre Augen einigermaßen an die Umgebung gewöhnt und es gelang ihr zumindest grobe Umrisse zu erkennen.
Der Geruch nach billigem Wein schien jetzt sogar noch penetranter in der Luft zu kleben und als Angela sich im Raum umsah, klebte ihr Fuß mehr als einmal am Boden fest. Schließlich fand sie eine schmale Tür, gerade breit genug, dass ein nicht allzu stämmiger Mensch hindurch passte. Sie schlüpfte in den dahinterliegenden Gesindegang und zog die Tür hinter sich zu. Nun war auch das letzte Licht verschwunden und sie fand sich in tiefster Schwärze wieder.
Wenn sie die Arme links und rechts schlaff herunterhängen ließ, berührten ihre Finger trotzdem noch die Wände. Langsam tastete sie sich vor und lauschte, doch weder das Schnarchen noch die Gespräche anderer Wachen drang mehr zu ihr vor. Es war, als würde dieser Gang sämtlichen Geräusche verschlucken. Selbst ihre eigenen Schritte hörten sich seltsam dumpf und fern an.
Instinktiv hielt Angela an und tastete vor sich in die Dunkelheit. Sie wusste nicht, was sie gewarnt hatte, doch war sie froh drum. Einen Schritt weiter und sie wäre gegen etwas gelaufen, dass mitten in dem schmalen Gang aus dem Boden empor wuchs. Sie versuchte das Objekt aus dem Weg zu schieben, doch es bewegte sich keinen Deut. Sie betastete es immer weiter. Es schien eine Stange zu sein, doch wusste sie nichts damit anzufangen, bis sie eine Verstrebung fand, dann noch eine und schließlich eine Dritte und Vierte. Eine Leiter, schoss es ihr durch den Kopf. Angela versuchte sich den Grundriss des Gebäudes ins Gedächtnis zu rufen. Wenn sie recht hatte, musste sich das Schlafzimmer des Bauern direkt über ihr befinden oder zumindest ganz in der Nähe sein.
Dennoch quetschte sie sich an der Leiter vorbei und ging weiter den Gang entlang. Wer auch immer diesen Gang benutzt, es ist sicherlich nicht die Köchin, dachte Angela. Erst am Ende fand sie eine weitere Tür. Sie lauschte und  hörte ganz leise Stimmen. Sie verstand nicht, was sie sprachen, doch es musste sich um weitere Wachen handeln. Hier kam sie auch nicht weiter. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Leiter emporzuklettern.
Prüfend rüttelte sie daran. Wieder bewegte sie sich nicht, doch gab ein protestierendes Ächzen von sich. Kein Holz klingt so, also muss sie aus Eisen sein. Sie blickte nach oben. In einer undefinierbaren Entfernung schimmerte Licht durch die Decke. Es war zu schwach, um den Flur auch nur im Ansatz zu erhellen, doch zumindest würde es sie warnen, bevor sie mit dem Kopf dagegen die Decke krachte.
Sprosse für Sprosse erklomm sie die Leiter. Ihr Rücken drückte dabei ständig gegen die Wand, wobei ihr Mantel ein schleifendes Geräusch verursachte. Sie hoffte, dass sich eher das Holz, als der Mantel abwetzen würde, doch sie befürchtete das Gegenteil. Kurz vor der Decke hielt sie an und tastete mit einer Hand voran. Es dauerte länger als nötig, da ihre Hände mittlerweile vollends taub waren. Doch schließlich fand sie eine Einbuchtung und nach einigen weiteren endlosen Minuten schaffte sie es den Ring zu greifen, ihn zu drehen und so ein Schloss zu entriegeln. Sie legte ihre Hand darauf und drückte die Luke sanft nach oben.
Sie öffnete sich, ohne ein Geräusch zu verursachen. Bauer Troy legte offenbar viel wert darauf, dass sich seine Bediensteten ohne großes Aufsehen bewegen konnte. Licht fiel durch den Spalt hinein und sie erkannte einen weiteren Gang, wie der, aus dem sie gerade gekommen war. Die Quelle des Scheins konnte sie nicht erkennen, doch auch keine Wachen, also schob sie die Luke gänzlich auf und stieg empor. Das Licht drang durch ein Fenster in den Gang hinein. Es war nicht besonders groß, doch der Mond stand direkt davor und spendete seinen fahlen Glanz. Zuerst begutachtete Angela ihren Finger und stellte erschrocken fest, dass sie ein Loch in der Fingerkuppe hatte. Ich muss ihn regelrecht in einen Nagel getrieben haben. Sie riss sich ein Stück von ihrem Hemd ab und verband ihn notdürftig. Dann sah sie sich um und entdeckte eine Tür, die sich gegenüber zum Fenster befand. Dort angekommen lauschte sie.
Sie konnte das Atmen einer Personen erkennen. Sie drehte am Knauf und öffnete die Tür und stand im nächsten Augenblick im selben Zimmer, wie schon zwei Male zuvor. Im Bett lag der fette Mann und neben dem Fester sah sie die Tür zum Ankleidezimmer. Sie war mit einem Stuhl verbarrikadiert worden. Er scheint Angst zu haben, dass ihn jemand besucht, dachte Angela und runzelte die Stirn. Kurzerhand beschloss sie ihn nicht zu wecken und machte sich stattdessen daran,  den Sekretär zu durchsuchen. Immer wieder warf sie dabei einen Blick auf den Bauern, doch dieser schlief tief und fest und dachte gar nicht daran, sich überhaupt zu bewegen.
Der Sekretär war nicht verschlossen und die Korrespondenzen säuberlich geordnet. Da sie bei dem spärlichen Mondschein nicht viel erkennen konnte, entzündete sie die mitgebrachte Lampe. Noch immer war alles still. Die meisten Schriftstücke handelten von den üblichen Belanglosigkeiten: Bestellungen, Lieferbescheinigungen und Bestandsaufnahmen. Doch ein Zettel weckte ihre Neugier. Er war kleiner als der Rest und es standen nur mehrere Reihen Zahlen und Buchstaben darauf. Vielleicht ist es eine geheime Nachricht, dachte Angela. Dann überkam sie plötzlich eine dunkle Vorahnung. Es war zu still in diesem Raum. Auch schlafende machen Geräusche. Doch ihre Einsicht kam zu spät. Mit einer Geschwindigkeit, die sie dem dicken Mann nicht zugetraut hätte, schwang er sich aus dem Bett, in seiner Hand schwang er eine eiserne Bratpfanne.
»Nimm das!«, rief er und schlug zu. Angela wollte noch die Arme heben, doch wieder war sie zu langsam. Der Schlag traf sie hart am Kopf und sie drehte sich einmal um sich selbst, ehe sie zu Boden fiel. Den Aufprall bekam sie schon nicht mehr mit.

Schmerzhaftes Erwachen

Es waren die Schmerzen, die sie weckten. Sie dauerten nicht lange und auch waren nicht einmal besonders stark, doch kurz wallten sie durch ihre Bauchgegend. Dann bemerkte sie die Hitze. Die Sonne brannte ihr im Gesicht, nur um ihre Augen herum war es sonderbar kühl. Sie öffnete sie, doch es blieb schwarz. Dann spürte sie den Druck auf den Schläfen und allmählich erkannte sie den dunklen Stoff, wenige Millimeter vor ihren Augen. Es mussten mehrere Lagen sein, denn es drang fast kein Licht hindurch und selbst oben und unten drangen keine Strahlen hindurch. Der  Stoff ihrer Hose klebte an den Beinen und sie konnte das getrocknete Blut an den Innenseiten ihrer Schenkeln spüren.
Sie stand, das spürte sie, doch als sie versuchte sich zu bewegen, schnitten Seile in ihre Handgelenke und sie wurde zurückgeworfen. Etwas Harte knallte in ihren Rücken und trieb ihr die Luft aus den Lungenflügeln. »Bleib wo du bist. Der Herr hat noch mit dir zu reden.«, sagte eine merkwürdig gedehnte, ölige Stimme.
»Wer bist du?«, wollte Angela wissen. »Warum bin ich gefangen? Binde mich sofort los!« Die fremde Stimme gackerte, verschluckte sich und hustete. »Warum du gefangen bist? Na, weil du eile elende Diebin bist, das bist du. Kannst von Glück sagen, dass der Herr dich nicht auf der Stelle getötet hat. Verdient hättest es, nicht wahr?« Angela schluckte. Was sollte sie darauf antworten? Sie konnte ja schlecht Herrn Brandel verraten. Oder wusste der Mann, dem diese Stimme gehörte, vielleicht von der Vereinbarung, die zwischen ihrem Herrn und Bauer Troy bestand? Hatte der feiste Bauer ihn vielleicht verraten? Das kann sein. Sonst hätte er mich auch kaum niedergeschlagen. Schließlich kennt er mich. Oder ist er so dumm, dass er sich nicht an mein Gesicht erinnern kann?, dachte sie, während sie ihre Arme anspannte und wieder lockerte, um die Festigkeit der Fesseln zu prüfen. Die etwas daumendicken Seile gaben kaum nach und ließen sich nicht lockern. Wer auch immer sie gefesselt hatte, verstand etwas von diesem Handwerk.
»Und wer bist du?«, wollte Angela nun noch einmal wissen. Sie grub ihre Füße in den Boden. Es ging ganz leicht. Vielleicht ein Acker?, schoss es ihr durch den Kopf. Der Untergrund fühlte sich weich, doch nicht zu fein an. Sand fiel aus, also musste es die Erde von einem Acker sein, zumal die heiße Sonne gegen einen schattigen Wald sprach.
»Das geht dich nichts an. Wenn der Herr es dir sagen will, dann wird er es tun, oder nicht? Ich denke doch. Soll hier nur auf dich aufpassen, bis er weiß, was er mach soll.« Sie hörte, wie ihr Wärter in einem weiten Bogen um sie herum ging. Dann stehe ich also auf weitem Feld, wenn hinter mir noch Platz ist, schlussfolgerte sie. Zuerst hatte sie gedacht, sie war gegen den Pfosten eines Zauns geknallt worden, doch jetzt entstand in ihrem Kopf vielmehr das Bild eines einzelnen Pfahls inmitten eines Ackers. War er extra für sie aufgestellt worden oder brachte man hier die Arbeiter hin, die einfach nicht spuren wollten? Sie selbst hatte so etwas noch nicht zu Gesicht bekommen.
»Also ist dein Herr einfach nur ein wenig langsam oder muss er auf Befehle warten?«, versuchte Angela ihn aus der Reserve zu Locken. Im nächsten Augenblick bereute sie es. Zuerst spürte sie den Luftzug und im nächsten Moment krachte ihr die Faust des anderen mitten ins Gesicht. Etwas knackte im Unterkiefer und sie spürte, wie mindestens einer ihrer Zähne ausgeschlagen wurde und gegen die gegenüberliegende Seite ihrer Mundhöhle prallte. Erst dann kam der Schmerz und ließ ihr die Tränen ins Gesicht steigen.
»Rede nicht schlecht über meinen Herrn. Er ist ein guter Mann.« Und du bist recht einfältig, dachte sie, spuckte Blut auf den Boden vor ihr. Sie versuchte den Mund zu öffnen und zu schließen, doch bei jeder Bewegung kletterte der Schmerz zu neuen Höhen empor. Dieser Drecksack hat mir den Kiefer gebrochen. Wieder hörte Angela die Schritte des Aufpassers in der Erde, doch bald schon mischten sich weitere, von mindestens zwei Personen, darunter.
»Herr. Ihr seid wieder da. Ich habe gut auf die Gefangene aufgepasst, habe ich.« Ein Paar Schritte waren fest und bestimmt. Angela hatte sie schon oft in ihrem Leben gehört. Sie gehörten definitiv zu einem Soldaten oder zumindest zu einer Person, die früher einmal Soldat gewesen war. Angela glaubte nicht, dass Bauer Troy die Armee gerufen hatte. Vielmehr war es eine Wache oder ein Söldner, der sowieso schon in seinen Diensten stand. Die anderen Schritte waren schwerfällig, fast schon träge. Man konnte beinahe das Fett hören, wie es den Körper mit jedem Schritt immer tiefer in die Erde trieb. Sie gehörten definitiv zu jemandem, der es nicht gewohnt war, auf einem Acker zu gehen.
»Guten Tag, Bauer Troy. Dürfte ich erfahren, warum Ihr mich niedergeschlagen habt?«, fragte Angela. Es war ein geringes Risiko damit verbunden, schließlich konnte es sein, dass vor ihr nicht der Bauer stand, doch es war ein überschaubares Risiko.
Einen Augenblicke herrschte Stille. »Woher weißt du, dass ich hier bin?«, fragte schließlich die schleppende Stimme des Bauern.
»Zum einen hat Euer Diener Euch Herr genannt. Und wenn man bedenkt, wer mich niedergeschlagen hat, so ist die Auswahl doch recht begrenzt.«
»Und zum anderen?« Diese Stimme gehörte der dritten Person. Es war eine Frau. Ihre Stimme war schneidend und befehlsgewohnt, zeigte Angela jedoch auch, dass diese Frau diszipliniert war und keinerlei Widerrede duldete.
»Zum anderen habe ich den Herrn Bauer Troy an seinem Gang erkannt. Er wirkt nicht sehr filigran auf diesem Grund.«
»Ich verbitte mir diese Beleidigung meiner Person. Eine absolute Frechheit, was ich mir hier anhören muss. Warum sollte ich dich nicht sofort töten lassen?«
»Weil es eine Vereinbarung gibt.«, sagte Angela, darauf bedacht, bloß nicht zu viel zu verraten. Jeder Eingeweihte war eine potenzielle Schwachstelle im Plan von Herrn Brandel und falls dies alles doch bloß ein Missverständnis war, so würde sie diesen Vertrag nicht aufs Spiel setzen. »Ich weiß nichts von einem Vertrag.« Verdammter Schweineschänder, dachte Angela, er hat uns tatsächlich verraten.
»Und was wollt ihr jetzt mit mir tun? Mich töten und zurück schicken?«, fragte sie.
»Das habe ich mir noch nicht überlegt. Ich wollte nur sehen, ob ihr gut versorgt und bereit seid zu reden. Ich habe noch viel vor. Euer Herr hat mich in eine gute Position gebracht und ich habe viele neue Freun…«
»Das reicht!«, fuhr die Frau dazwischen. Also doch keine Söldnerin. Zumindest keine, die für ihn arbeitet.
»Recht habt Ihr Magdalena, doch sprecht nicht noch einmal in einem solchen Ton mit mir.« Angela konnte beinahe sehen, wie die Frau die Augen verdrehte. Zumindest aber hörte sie einen leidenden Seufzer, den die andere nicht unterdrücken konnte. Jetzt kannte sie einen Namen.
»Darf ich sie nun töten, Herr, darf ich?«
»Noch nicht. Sie soll erst unsere Frage beantworten. Danach darfst du es meinetwegen tun.« Angela musste lachen. Es war kein fröhliches Lachen, sondern eines, dass man nicht mehr unterdrücken kann, wenn man von unvorstellbarer Dummheit umgeben ist.
»Was ist so lustig?«, fauchte Bauer Troy. Er hörte sich dabei wie ein quiekendes Schwein an.
»Warum sollte ich Euch noch etwas sagen, wenn ich sowieso sterben soll? Das macht das ganze so unendlich einfacher für mich. Ich danke Euch Bauer Troy.« Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, spürte Angela, wie sich eine kleine, aber überraschend kräftige Hand um ihren Hals legte und zudrückte. Gleichzeitig vernahm sie eine flüsternde Stimme an ihrem Ohr. »Manchmal kommt es eben nur darauf an wie man stirbt«, sagte Magdalena. Langsam drückte sie immer fester zu. Angela konnte nicht mehr atmen. Trotz des wenigen Lichts unter ihrer Binde wurde ihr noch schwärzer vor Augen und sie spürte, wie sich ihre Hände verkrampften. Panisch versuchte sich nach Luft zu schnappen, doch diese fand einfach keinen Weg mehr durch den Hals in die Lungen. Erst als die Lungenflügel zu brennen begannen und Angela schon hinab ins Zwielicht driftete, entließ sie die Frau aus ihrem Todesgriff. »Versteht Ihr? Wenn Ihr die Fragen nicht beantwortet, werdet Ihr euch wünschen, dass der Bauer einfach so lange auf Euch eingeprügelt hätte, bis Ihr nichts mehr gewesen wärt als ein Haufen Brei.«
Angela huste und röchelte als die Luft schlagartig wieder ihre Lungenflügel flutete. Sie spürte, wie sich Schweiß an den Schläfen bildete, aber sogleich wieder vom Tuch um ihre Augen aufgesogen wurde. »Wieso der Verrat?«, brachte sie schließlich hervor. Bauer Troy lachte schallend auf.
»Verrat. Ich sehe hier keinen Verrat. Ich nutze nur meine Gelegenheiten. Es war ein nettes Angebot. Doch kommt das eine, so lassen die Nächsten sich nicht lange bitten. Jeder hätte doch das Gleiche getan«, sagte der Bauer und gluckste dabei noch immer.
»Das werdet Ihr bereuen. Er wird nicht zulassen, dass Ihr so mit seinem Vertrauen umgeht. Ihr seid ein fetter Narr und als solcher wird man Euch auch behandeln.« Angela spuckte aus. Sie hörte, wie die Flüssigkeit auf etwas hartes traf. Vielleicht Leder? Sie brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten. Diesmal wurde sie nicht gewürgt. Sie wurde geschlagen.
Die kleine, doch umso kräftiger Faust der Frau traf sie in die Magengegend. Hätte Angela nicht im letzten Moment ihre Bauchmuskeln angespannt, hätte sie sich übergeben.
»Ist das schon alles?«, höhnte sie und spuckte erneut. Diesmal blieb das Geräusch aus. Angela wusste das sie verloren war. Der einzige Grund, warum sie noch lebte, war, dass Bauer Troy, oder vielmehr die Unbekannte, etwas von ihr wissen wollte. Doch sie würde ihnen niemals geben, was sie wollten. Wieder traf sie ein Schlag. Speichel und Blut spritzten ihr aus dem Mund als sie hörte wie eine Rippe brach. Das Knacken hallte in ihren Ohren wieder.
Die Frau lachte. »Du scheinst immer noch nicht zu wissen, in welcher Lage du dich befindest, Dienerin. Ich weiß wer du bist Angela. Ich kenne deine Freunde und ich weiß, wer dir am meisten bedeutet. Willst du nicht leben und sie wiedersehen?« Ihre Stimme war süß und einschmeichelnd doch fast außerhalb des Hörbaren schwang ein zorniges Beben mit. Angela widerstand dem Drang zu lachen und hob den Kopf. Das Atmen tat ihr weh.
»Ich kenne nur einen Grund zum Leben. Also tötet mich besser gleich. Von mir werdet ihr beide, du und dieser verräterische Fettwanst nichts erfahren.« Diesmal traf sie eine größere, doch ungleich schwächere Faust an der Seite ihres Kopfes. Es reichte trotzdem, um ihr beinahe die Sinne zu rauben. »Wen nennst du hier fett? Ich verbitte mir das.«, schmatzte der Bauer.
»Das reicht!«, fuhr die Frau wieder dazwischen, während nun etwas mehr Licht an Angelas Augen drang. Der Schlag des Bauern hatte die Binde ein wenig verrutscht, sodass sie nun zumindest die Stiefel ihrer Feinde sehen konnte. Sie wagte es nicht den Kopf weiter zu heben. Das Risiko das zumindest die Frau diesen neuen Umstand bemerkte, war ihr zu groß.
»Sie verdient eine Tracht Prügel.«
»Ja genau, Herr. Schlagt sie grün und blau, bis sie Euch anfleht, endlich damit aufzuhören.«
»Schluss damit. Ihr beide tut genau das was ich sage. Mein Auftraggeber hat sich klar ausgedrückt, oder etwa nicht?«
»Doch.« Die Stimme des Bauern klang mit einem Mal schwach und unterwürfig. Diese Frau musste wirklich einen einflussreichen Herren haben. Herren?, dachte Angela. Nein. Sie hatte Auftraggeber gesagt. Würde sie in festem Dienst stehen, dann hätte sie das so nicht gesagt. Also war sie Söldnerin.
»Und wie bringen wir sie nun zum Reden?«, unterbrach Bauer Troy ihren Gedankengang.
»Lasst sie hier stehen. Die Zeit wird sie zum Reden bringen. Es eilt ja nicht. Euer Lakai soll auf sie aufpassen. Und wenn sie morgen immer noch nicht reden will, dann lassen wir sie tanzen. Angela sah, wie Magdalena gegen eine große, eiserne Schale trat. Die Frau trug hohe Lederstiefel. Sie sahen alt aus, doch teuer und gut gepflegt. Beim Klirren der Schale lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Durch den Spalt konnte sie gerade noch erkennen, wie dunkel die Unterseite war. Ruß. Dies war eine Schale, die man aufs Feuer stellte, doch nicht um darin zu kochen. Sie wollten sie den Kohletanz tanzen lassen.
»Das wird lustig, Herr. Habe ewig niemanden tanzen sehen.«, kicherte der Diener.
»Pass auf sie auf. Wir kommen morgen wieder.«, sagte der Bauer trocken als würde ihm bei der Vorstellung die Spucke wegbleiben.
»Aber was, wenn es Nacht wird, Herr. Bekomme ich dann eine Ablösung?«
»Nein. Du wirst hier bleiben. Und wehe du schläfst ein. Dann bekommst du die Peitsche zu spüren. Verstanden?«
»Ja doch, Herr. Ich habe verstanden.«
Angela sah, wie sich die dünnen Beine in den Lederstiefeln und ein weiteres paar Stiefel entfernten. Dieses war weitaus größer, vor allem aber breiter. Die Schuhe sahen neu aus und waren mit goldenen Fäden verziert. Allein das dritte Beinpaar blieb zurück. Es trug bloß einfach Sandalen, die bereits dabei waren, auseinanderzufallen.
Das dicke paar Füße drehte sich noch einmal um und der Bauer sagte: »Wir sehen uns morgen wieder. Und dann wirst du reden. Auf die eine oder andere Art.« Angela schluckte. Wer auch immer hinter dem Verrat des Bauern stand, wollte an Herrn Brandel herankommen und dazu sie benutzen. Doch das würde sie nicht zulassen. Was auch immer geschah, sie würde nicht reden, das nahm sie sich fest vor.
Doch sie hatte selbst schon gesehen, was der Kohlentanz mit Menschen machte. Wie es sie veränderte. Egal wie sehr man sich auch dagegen wehrte, man würde früher oder später alles sagen, damit die Schmerzen aufhörten. Wo ist meine Grenze?, fragte Angela sich. Wenn meine Füße anfangen Blasen zu werfen? Wenn meine Sohlen bei lebendigem Leib gebraten werden. Wenn ich nicht mehr kann und über der glühenden Schale zusammenbreche? Vielleicht sterbe ich vorher. Doch in ihrem Inneren wusste sie, dass Magdalena es nicht zulassen würde. Nicht bevor sie hatte, was sie brauchte. Sie konnte ihr natürlich einfach irgendetwas sagen, doch auch dann würde sie Angela nicht sterben lassen, bevor sie die Informationen nicht überprüft hatte. Und es gibt noch weitaus schlimmere Methoden als den Tanz…
Angela zwang sich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sie brauchte eine Lösung. Eine Möglichkeit zur Flucht. Noch stand die Sonne hoch am Himmel und der Diener war bei Kräften, ging im Kreis und pfiff, mehr schlecht als recht, ein Lied. Doch sie konnte an der Art, wie er sich bewegte erkennen, dass er nicht über ein hohes Maß an Disziplin verfügte. Momentan trieb ihn noch die Freunde an ihrem Schmerz und die Angst vor den Peitschenhieben an. Doch was war, wenn die Sonne unterging und niemand da war, der ihm Angst machte? Wenn die Müdigkeit kam. Dann war ihre Gelegenheit. Sie versuchte so flach wie möglich zu atmen, damit die gebrochene Rippe nicht allzu doll schmerzte.
Jetzt muss ich mich nur noch um eine Sache kümmern, dachte sie. Ich muss diese verdammten Fesseln loswerden.

Befreiung

Die Sonne war untergegangen und noch immer hielten sie ihre Fesseln an Ort und Stelle fest. Der Knoten war wirklich außergewöhnlich gut. Angela bezweifelte, dass sie selbst einen besseren gemacht hätte.
Mit den Stunden waren die Schmerzen nicht besser geworden. Die Unterleibskrämpfe waren vorbei, doch die Rippen und vor allem ihr Finger pochten um die Wette. Außerdem konnte sie das Blut spüren, dass sich langsam seinen Weg an ihren Beinen nach unten bahnte. Der Leinenwickel, den sie sich am Vortag zwischen die Beine gesteckt hatte, war inzwischen komplett durchnässt und begann teilweise schon wieder zu trockenen.
Wie Angela es erwartet hatte, hielt der Diener nicht sonderlich lange durch. Kaum war der gelbe Ball hinter dem Horizont verschwunden, waren seine Schritte träger geworden und immer wieder drang ein Gähnen an ihr Ohr. Er hatte auch damit aufgehört, sie zu beleidigen und mit Schlägen zu quälen. Wenn sie fliehen wollte, war jetzt ihre Gelegenheit.
Sie versuchte ihre Arme in den Fesseln zu drehen. Es funktionierte, doch nur langsam und die Seile begannen ihre Handgelenke aufzuscheuern. Doch sie hatte Platz. Alles was sie noch daran hinderte, ihrem Gefängnis zu entfliehen war ihr Daumen, den sie nicht durch die Schlaufe zwängen konnte, egal, wie sehr sie es auch versuchte.
Sie lauschte. Mittlerweile brachte ihr auch der schmale Spalt unter der Augenbinde nichts mehr. Wolken mussten aufgezogen sein und das Mondlicht verdecken, denn sie konnte kaum ihre eigenen Füße erkennen. Über dem Rauschen des Windes konnte sie ein regelmäßig Atmen hören. Es war ganz in der Nähe. Wahrscheinlich hatte sich der Diener in ihrem Rücken unter hingelegt, um ein Nickerchen zu machen.
Sie biss sich auf die Unterlippe, dann legte sie ihre linke Hand in die Rechte. Es tat weh, denn sie musste dafür das eine Gelenk so weit verdrehen, dass die Seile tief ins Fleisch schnitten. Tränen stiegen ihr in die Augen. Der Gedanke an das, was sie gleich tun musste, gefiel ihr ganz und gar nicht. Doch sie hatte keine Wahl.
Eine schnelle Bewegung, ein kaum hörbares Knacken und noch mehr Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihr Körper bäumte sich auf und wollte alle Luft in einem schmerzhaften Stöhnen aus den Lungen pusten, doch Angela unterdrückte diesen Reflex und presste die Lippen zwanghaft aufeinander, sodass ihr Mund nur noch ein schmaler Streifen war.
Der Initialschmerz verflog und wich einem schmerzhaften Pochen, dass sich immer dann verstärkte, wenn sie ihre Hand bewegte. Fast besinnungslos vor Qualen zog sie ihre Hand durch die Schlaufe ihrer Fesseln. Das Seil drückte den nun frei beweglichen Daumen in eine Position, sodass sie sich endlich befreien konnte. Doch bei dem Versuch verlor sie beinahe das Bewusstsein.
Nun konnte sie es auch nicht verhindern, dass sie vor Schmerzen stöhnte. Panik flammte in ihr auf. Wenn der Handlanger erwachte und sie zu früh bemerkte, würden er sie töten. Vielleicht nicht sofort und vielleicht wird er mich vorher noch… Sie sponn den Gedanken nicht zu Ende, denn in diesem Moment ließ der Druck auf ihre linke Hand nach. Vor Schmerzen und Überraschung keuchte sie auf und hörte im gleichen Moment einen erschreckten Laut hinter sich.
»Was ist hier los?«, fragte eine schlaftrunkene Stimme und Angela konnte hören, wie sich mit sandigen Händen den Schlaf aus dem Gesicht wischte. »Oh, verdammt. Meine Augen.« Sie lächelte bösartig. Die Dummheit des Handlangers würde ihr einige Sekunden verschaffen. Sekunden, die sie dringend brauchte.
Mit zittrigen Fingern schob sie sich die Augenbinde endgültig vom Kopf. Trotz des wolkenverhangenen Himmels blendete sie das wenige Sternenlicht im ersten Augenblick und sie kniff die Augen zusammen. Dann versuchte sie mit den Knoten der Fesseln zu lösen, um auch noch ihre andere Hand zu  befreien. Der Daumen schwankte unnütz hin und her und bei jedem Pendeln wurde der Schmerz ein wenig größer.
Ohne aufzublicken, bemerkte sie, wie der Diener des Bauern aufstand. Anscheinend konnte er wieder sehen. »Verdammt, was tust du da? Hör damit auf! Der Herr hat gesagt, du sollst da bleiben!«, brüllte er und sie hörte, wie seine Füße sich durch die lockere Erde pflügten als er auf sie zu stampfte. Halt den Mund, dachte sie. Halt einfach den Mund. Sie werden dich Hören. Endlich schaffte sie es ihren Zeigefinger in ein Loch zu bohren, das sich zwischen den Windungen des Seils auftat. Sie zog und zerrte und dann plötzlich war auch ihre zweite Hand frei.
Sie taumelte nach hinten und fiel. Im Fallen nahm sie war, dass sie sich tatsächlich auf einem Acker befand. Er schien brach zu liegen. Einzig fünf Pfähle standen auf dem Feld, der an den sie gekettet war stand in der Mitte. Sie sahen im trüben Licht der Nacht seltsam fleckig aus und plötzlich wusste sie, was für ein Ort das war. Es waren die Büßerpfähle, an denen aufsässige Arbeiter manchmal Tage oder Wochen stehen mussten, bis sie ihre Lektion gelernt hatten oder starben. Sie hielt diese Ort bisher nur für Gerüchte oder Geschichten, die man sich innerhalb der Stadtmauern erzählte.
»Stell dich wieder dahin. Jol muss dich bewachen. Stell dich hin oder ich werde dir wehtun. Ich werde dir wehtun. « Der Diener stapfte an den Pfählen vorbei, auf sie zu. Angela krabbelte rückwärts, den Blick nicht von Jol abwendend. Er wird mich töten, dachte sie als sie den Knüppel sah, den er in der Hand hielt. Sie spürte etwas hartes im Rücken. Die Schale, schoss es ihr durch den Kopf. Sie wusste nicht, ob sie noch in der Lage war sie hochzuheben, doch sie hatte keine andere Wahl. Sie musste es einfach versuchen. Eine seltsame Ruhe erfasste von ihrem Kopf Besitz, wie sie es immer getan hatte, wenn sie einmal einen Entschluss fasste. Es war beinahe so, als würde die Zeit langsamer verlaufen.
Sie wartete, bis Jol sie beinahe erreicht hatte und schon bedrohlich seinen Knüppel über dem Kopf schwenkte. Erst dann drehte sie sich um, umfasste mit neun Fingern den Rand der Schale. Mit der Kraft einer Bärin hob sie die, etwa eine Schritt breite, Eisenschale auf und schlug zu. Bevor das Werkzeug sich in ihr Sichtfeld schob, konnte sie die Erkenntnis in den Augen des Dieners sehen, der schlagartig Panik wich. Dann sah sie das silbrige Grau von Metall.
»Argh«, machte Jol, als die Schale ihn mit einem dumpfen Plonk am Kopf traf. Dann sank sein Körper zu Boden. Vom Schwung mit einem Eigenleben ausgestattet entglitt Angela die Schale. Plonk, machte es erneut, als sie ein zweites Mal den Kopf des Dieners traf.
Einige Sekunden stand Angela wie vom Donner gerührt da, dann begann sie zu lachen. Es war ihr egal, wer es hören konnte. Es war das Lachen einer Frau, die noch einmal mit dem Leben davongekommen war. Lebensbejahend und zugleich wahnsinnig, hallte es schallend über das Feld und musste auch noch viele hundert Meter weiter zu hören sein. Sie war frei. Durchzogen von Schmerzen, geschunden und immer noch dem Tot geweiht. Doch immerhin war sie für den Moment frei.
Wankenden Schrittes trat sie, an den am Boden liegenden Mann, heran. Aus zwei Wunden am Kopf floss das Blut heraus. Nicht viel, aber stetig. Habe ich ihn getötet?, dachte Angela, ehe sie bemerkte, dass sich der Jols Brustkorb schwach hob und senkte. Er war nur bewusstlos, doch Angela wusste, dass sich das jederzeit ändern konnte. Es war schwer im Dunkeln zu sagen, wie sehr sie ihn verletzt hatte, doch sie hatte es oft genug erlebt, wie Leute an den scheinbar kleinsten Verletzungen elendig krepierten. Doch sie verwarf diesen Gedanken gleich wieder. Dieses Ekel hatte Spaß daran gehabt sie zu quälen und hatte sich schon auf den Kohlentanz gefreut. Für so jemanden hatte sie kein Mitleid.
Sie trat von dem Körper weg und ließ ihren Blick über die Umgebung schwenken. In der Ferne, hinter einer Reihe Häuser konnte sie Lichter sehen, in dessen Schein sich niedrige Gebäude befanden. Das müssen die Baracken sein. So weit hatte der Bauer sie also nicht wegschaffen lassen. Hoffentlich haben sie nichts gehört, dachte sie und überlegte kurz, sich einfach umzudrehen und in Richtung der Stadt aufzumachen. Doch sie konnte und wollte Herrn Brandel einfach nicht ohne Ergebnisse unter die Augen treten. Sie musste zumindest etwas über dieses neue Bündnis herausfinden. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Jedenfalls muss ich mich nicht mehr um einen guten Umgang mit dem Bauern bemühen.
Angela nahm sich Jols Knüppel und wollte sich schon aufrichten, als ihr Blick auf das Stück Stoff fiel, welches der Diener als Gürtel trug. Sie nahm es ihm ab und fixierte damit notdürftig ihren Daumen an der Hand. Sie konnte es nicht gebrauchen, dass ihr diese Verletzung zum Nachteil gereichte. Ausgestattet mit einer primitiven Waffe, pochenden Rippen und halbwegs bandagiertem Daumen machte sie sich auf den Weg in Richtung der Lichter.

Infiltration

Im Vergleich zum Vorabend hatte sich die Szenerie stark gewandelt. Angela war nicht einmal bis zu den Baracken gekommen, ehe ihr die ersten Wachen in die Quere kamen. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig sich in den Schatten eines alleinstehenden Baumes zu verstecken. Und das waren nun richtige Wachen. Nicht wie die des Bauern, die alle ein wenig so wirkten, als seien es Schauspieler, die die Rolle einer Wache mit nur wenig Motivation spielten. Diese Menschen waren anders. Sie gingen mit offenen Augen durch die Nacht, horchen bei den kleinsten Geräuschen auf und bewegten sich in einer Einheit. Angela hatte solches Verhalten schon viele Male während ihrem Dienst gesehen. Es waren Soldaten, nur hatten sie sich, ganz so wie sie selbst, dazu entschlossen in den Dienst einer Familie oder Person zu treten und nicht der Stadt selbst zu dienen. Oder kommen sie vielleicht aus einer anderen Stadt? Immerhin war es möglich. Es gab andere einflussreiche Städte im Land und es gab andere Länder. Aber wer kann ein Interesse daran haben? Die Antwort auf ihre Frage war einfach: Jeder, der sich in die Geschicke Lokras einmischen wollte. Und das konnte mehrere Gründe haben. Geldgier und Machtgier, fielen ihr als erstes ein und die beiden gingen meist zudem Hand in Hand. Unwichtig, dachte sie. Erst einmal muss ich herausfinden, wer dahintersteckt. Die Motivation kann ich später ergründen. Wichtig ist, dass sie damit nicht durchkommen.
Zumindest schienen sie nicht alarmiert zu sein, sondern gingen ihres Weges und steuerten auch nicht in die Richtung, aus der sie gekommen war. Vielleicht haben sie es für einen Schmerzensschrei gehalten und wundern sich deshalb nicht. Sobald die Wachen vorrübergegangen waren, schlich sie weiter, peinlich darauf bedacht, ja kein Geräusch zu verursachen. Auch um die Baracken und das Landhaus standen und gingen überall Wachen. Angela dachte nach: Entweder hat er Angst oder sein neuer “Partner” will ihn kontrollieren. Sie beobachtete die Abläufe eine gute Stunde und musste sich ein paar Mal verstecken, um nicht von Patrouillen entdeckt zu werden. Mit dem Verstreichen der Zeit wurden die Hand- und Rippenschmerzen immer stärker und sie glaubte auch im Unterleib wieder ein leichtes Pochen zu spüren.
Dann entdeckte sie ein kleine Lücke zwischen zwei Wachgruppen. Sie war nicht groß und wenn sie unvorsichtig war, würde man sie auf jeden Fall entdecken.
Sie atmete dreimal tief durch und ging los, weit nach vorne gebeugt und so nah am Boden wie möglich, um den Wachen möglichst wenig Fläche zu bieten. Sie würde versuchen, wieder durch den Hintereingang zu gelangen und von dort wieder über den Gesindegang ins Schlafzimmer. Dort oben, so vermutete sie, musste es einen Hinweis geben. Und vielleicht hatte sie die Gelegenheit, ein wenig ihrer Wut, die sich immer mehr aufbaute, an Bauer Troy abzuarbeiten.
Von Schatten zu Schatten huschend schlich sie nun einer Gruppe bestehend aus drei Frauen hinterher, während sich hinter ihr schon die nächsten Umrisse aus der Dunkelheit schälten. Die Gruppe vor ihr nahm einen Weg, der nicht direkt um das Haus führte, sondern in Schlangenlinien um die gesamten Gebäude herum. Angela war nahe genug dran, um die Frauen zu belauschen.
»Warum machen wir den Dreck hier eigentlich? Kann mir das eine von euch sagen?«, stöhnte eine von ihnen und unterstrich ihre Aussage mit einem langgezogenem Gähnen.
»Beschwer dich doch beim Boss. Wir werden bezahlt, also tun wir, was uns gesagt wird«, sagte eine andere, die Kleinste der Dreien.
»Schon klar. Interessiert mich nur einfach.«
»Du weißt doch wie das läuft. Nie mehr Informationen als Notwendig. Charlotte regelt das Wichtige und wir tun unsere Arbeit.«
»Haltet beide die Klappe«, fuhr sie dir Dritte an. Angela wusste sofort, dass dies die Anführerin war. Ihre Stimme hatte einen befehlenden Tonfall. Einen, der wie selbstverständlich Respekt von anderen einforderte und ihn auch bekam. Beim Klang der Stimme richteten sich die beiden anderen automatisch ein wenig auf und ihre Schritte wurden steifer. Nein, dachte Angela. Nicht nur Respekt. Auch Angst. Genauso, wie die Anführerin Angst vor ihrer Vorgesetzten hat.
»Verzeihung. Ich wollte mein Nase nicht in Dinge stecken die mich nichts angehen.« Es war wieder die Erste. Angela konnte sie nur an ihren Stimmen auseinanderhalten, denn mittlerweile hatten sie das Haus so weit umrundet, dass selbst ihre Umrisse nur noch wage in den Schatten zu erkennen waren und noch immer hörte sie die regelmäßigen Schritte hinter sich, wie sie auf der platt getretenen Erde liefen.
Als sie den Frauen um die nächste Ecke folgte hatte sie schon einen Fluch auf den Lippen. Doch sie musste ihn nicht sprechen. Angela hatte erwartet, dass am Hintereingang mindestens eine Wache stehen würde. Doch dem war nicht so. Die Tür lag komplett im Dunkeln und nicht der geringste Umriss einer Person war zu sehen. Sie hatte nicht daran denken wollen, was passierte, wenn sie der Wache gegenüberstand, doch war ihr bewusst gewesen oder vielmehr hatte sie gewusst, dass hier jemand warten würde. Also erwartet Troy keine Bedrohung, sondern man will ihm etwas klar machen. Das Ganze ist, um ihn bei der Leine zu halten. Kein Wunder. Wenn ich mit einem Verräter zusammen arbeiten würde, wäre das erste, was ich machen würde, ihn einzuschüchtern. Und genau das hatte sie auch mit ihrem ersten Besuch gemacht, doch anscheinend war dies nicht genug gewesen. Auf dem Acker hatte er versucht selbstsicher und so zu wirken als wäre er der Herr der Lage, doch rückblickend glaubte sich Angela an Angst in seiner Stimme zu erinnern.
Sie löste sich von ihrem Verfolgungskurs und drückte sich in den Türrahmen. Es gab ein leises Knirschen, als ihr Körper gegen das Holz drückte.
»Hast du das auch gehört?« Zwei weitere Wachen kamen um die Ecke. Es waren diejenigen, die der ersten Patrouille gefolgt waren.
Und sie blieben stehen.
»Was meinst du?«, hörte Angela eine Frauenstimme fragen.
»Dieses Knarzen. Du musst es doch auch gehört haben. Ich bilde es mir nicht ein.« Die zweite Stimme war tief und rau. Sie gehörte einem Mann, der schon viele Jahre hinter sich hatte.
»Natürlich hast du dir das nicht eingebildet. Genauso wie du es dir den gesamten Abend auch nicht eingebildet hast. Seit wir hier sind sagst du mir ständig, dass du ein Knarzen gehört hast. Und du hast Recht. Alle Gebäude hier sind aus Holz. Und zwar aus schlechtem. Sie bewegen sich bei jedem Windstoß und bei jedem Furz, den einer der Arbeiter lässt, drohen sie einzustürzen. Also ja. Ich höre es auch, aber das ist nichts und jetzt hör auf zu nerven!« Aus mehreren Richtungen dröhnte plötzlich Lachen zu ihnen herüber als die Frau mit ihrem Vortrag geendet hatte. Selbst in der Dunkelheit meinte sie zu erkennen, wie der Kopf des Mannes rot anlief und leicht zu leuchten begann. Ohne noch eine Antwort zu geben, ging er mit gesenktem Kopf weiter und die Frau folgte ihm. Wenig später folgte eine Gruppe aus zwei Menschen und darauf folgte eine Vierergruppe. Dann folgten so lange Gruppen von drei Menschen, bis die drei Frauen wieder kamen. Angela erkannte sie an ihren Stimmen, doch sie unterhielten sich nur über den Streit der ihnen folgenden. Angela hatte nicht viel Zeit. Nachdem die Drei wieder verschwunden waren, drückte sie die Klinke nach unten.
Die Tür war verschlossen.
Denk nach Angela, denk nach. Was weißt du über diese Tür? Sie wusste, dass sie nicht sonderlich robust war, aber rohe Gewalt kam nicht in Frage. Das wäre zu laut und außerdem war sie sich nicht sicher, dass sie in ihrem Zustand noch genug Kraft hatte. Sie war durstig und hungrig, blutete und sie konnte spüren, wie ihre geschundenen Körperteile sich bereit machten, um sie mit einer neuen Welle von Schmerzen zu überrollen.Vielleicht schaffe ich es vorher, dachte sie, glaubte aber selbst nicht daran.
Angela erinnerte sich außerdem, dass diese Tür mangelhaft gebaut war. Sie passte nicht sonderlich gut in den Rahmen. Es klaffte eine Lücke, ungefähr einen Fingerbreit zwischen Tür und Haus. Sie spähte durch die Lücke und konnte sah Licht. Nur eine kleine Stelle blieb dunkel. Sie haben die Tür nur mit einer Stange gesichert. Vielleicht kann ich sie rausdrücken. Sie blickte sich nach etwas um, dass sie durch den Spalt stecken konnte, um die Stange nach oben zu drücken. Sie hoffte, dass es wirklich eine Stange und kein Riegel war, denn dann würde ihre Reise hier enden. Ihr Blick fiel auf den Knüppel, den sie noch immer in der Hand hielt. Zu breit.
Sie konnte versuchen die Wachen niederzuschlagen, doch dann würde sie auf jeden Fall bemerkt werden. Sie hockte sich hin und tastete über den Boden. Sie hatte die Hoffnung einen Stock zu finden, doch sie wurde enttäuscht. Sie kam ungünstig mit der verletzten Hand auf und sog scharf die Luft ein. Sie musste schnell handeln, denn früher oder später würde man sie entdecken. Spätestens jedoch, wenn es hell wurde.
Dann hatte sie eine Idee. Es war eine dumme und völlig aussichtslose Idee, doch die Einzige, die sie hatte.
Langsam schob sie ihren kleinen Finger in den Spalt zwischen Tür und Rahmen. Es war eng und mit jedem Millimeter bohrten sich Späne in die Haut. Was würde sie jetzt für ein wenig der betäubenden Pflanzenmischung geben. Ab dem zweiten Fingerglied begann das Holz den Finger zu schälen, doch sie zwang sich weiterzuschieben. Der Nagel war gerade auf der anderen Seite angekommen, als sie das Blut zu spüren begann. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang sie den Finger noch weiter hindurch, die Späne bohrten sich mittlerweile regelrecht in ihr Fleisch. Tränen stiegen ihr in die Augen, obwohl sie dachte, dass sie viel zu ausgetrocknet dazu war. Endlich ertastete sie mit der Fingerspitze einen Widerstand.
Die Stange.
Nur noch wenige Millimeter trennten sie von der Möglichkeit sich Eintritt zu verschaffen. Mit einem Ruck zwang sie den kleinen Finger bis zum Anschlag in den Spalt. Um ein Haar hätte sie geschrien. Ihre Kiefer pressten aufeinander, damit sie nicht schrie oder wimmerte, doch ihre Zähne knirschten und dem Druck.
Doch sie hatte es geschafft. Die Stange ruhte nun über ihrem vordersten Fingerglied der linken Hand. Der Daumen pochte Schmerzhaft. Jetzt wird sich herausstellen, ob ich richtig liege, dachte sie. Alles was sie nun tun musste, war ihren Finger nach oben zu drücken und somit die Verriegelung zu entfernen. Und sie wusste, was das bedeutete. Noch mehr Schmerzen.
Mit angehaltenem Atem wartete sie, bis die nächste Gruppe vorbei war. Sie bis die Zähne zusammen, so fest sie konnte, da sie Angst hatte, sich zu verraten. Stück für Stück zwang sie ihre Hand nach oben, schob sie mit der rechten von Unten an. Es war fast keine Haut mehr an den Stellen übrig, wo sich Holz und Finger berührten, doch sie schob weiter. Millimeter um Millimeter. Ist das endlich genug? Ich kann nicht mehr. Ich will, dass es aufhört. Beinahe hätte sie aufgegeben, doch dann spürte sie, wie der Widerstand der Tür nachgab und gleich wieder aufgehalten wurde.
Ihr Finger verhinderte das Öffnen. Angela biss sich auf die Unterlippe. Was sollte sie jetzt tun? Wenn der Stock hinunterfiel, würde es einen Ohrenbetäubenden Lärm geben. Sie fühlte das kühle Metall auf ihren Fingern. Es war nicht sonderlich dick oder schwer, doch es würde scheppernd zu Boden fallen. Also blieb ihr nur noch eine Möglichkeit. Doch sie zögerte. Ich will das nicht tun, dachte sie. Doch ich muss. Herr Brandle erwartet das von mir.
Angela brauchte drei Wachzyklen, um den Mut zu sammeln.
Mit einem Ruck stemmte sie sich gegen die Tür. Ein leises Knacken ertönte als ihr Finger erst gequetscht wurde und dann brach. Die Tür flog auf und im fahlen Licht einer Laterne, die den Innenraum beleuchtete, sah sie die Metallstange durch die Luft fliegen. Mit letzter Kraft hechtete sie durch die Tür, schaffte es gerade noch die Stange zu fangen, bevor sie auf den Boden aufschlug.
Ein röchelnder Husten. Vor ihr in einem Stuhl saß ein Wächter. Er hatte geschlafen und schreckte nun hoch. Doch für ihn war es zu spät. Mit der Routine einer Soldatin, lenkte Angela ihre Bewegungen um und rammte dem Wächter die Eisenstange in den Hals, sodass alles was er noch herausbringen konnte, ein ersticktes Gurgeln war, ehe er wieder in seinen Stuhl zurücksagte.
Von draußen waren Schritte zu hören. Angela drehte sich um und schloss die Tür so schnell sie konnte, ohne dabei ein Geräusch zu machen. Vom Heben der Stange bis zum Schließen der Tür waren nicht einmal fünf Sekunden vergangen. Und sie hätte keine Sekunde länger brauchen dürfen. Zum einen bogen direkt in dem Augenblick, in dem die Tür wieder an ihrem Platz war, die nächste Patrouille um die Ecke und zum anderen setzte der Schmerz ein, der sich angefangen vom kleinen Finger rasend schnell ausbreitete. Es entwickelte sich eine wahre Symphonie der Pein. Nach und nach setzte jeder Schmerz, den sie in den letzten Augenblicken ignoriert hatte wieder ein und schwang sich zu neuen Höhen auf. Es fühlte sich so an als würde ihre gesamter Körper brennen, als würden ihr Tausende und Abertausende von Ameisen durch die Adern laufen.
Sie schaffte es gerade noch, die Stange wieder aus dem Hals zu ziehen und wieder die Tür zu versperren, bevor ihr die Knie weich wurden. Sie lehnte sich erschöpft gegen die Wand und sank an ihr herab. Jetzt kam der Schmerz und ihre Welt begann sich um sie herum zu drehen. Es brauchte einen Augenblick, ehe sie sich wieder bewusst wurde, wo sie überhaupt war.

Im Haus

Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte sie sich wieder nach oben und presste die rechte Hand gegen die Bauchdecke. Es half, wenn auch nicht viel. Sie wusste, dass der Schmerz bald vorbeigehen würden, doch nicht für lange. Mit zusammengebissenen Zähnen schob sie sich durch den Raum und verschwand in dem Gesindegang. Angela presste die Lippen zusammen und atmete aus. Gerade als sie den Gesindegang hinter sich schloss hörte sie auf der anderen Seite der Hintertür stimmen. Sie zögerte.
»Hast du auch etwas gehört? Hat sich fast so angehört als hätte jemand die Tür geöffnet.«
»Das kann nicht sein. Ich habe sie selbst versperrt.«
»Bist du dir sicher?« Es folgte eine kurze Stille, dann rüttelte jemand heftig an der Tür. »Sehr sicher.«
»Ich dachte echt, ich habe etwas gehört.«
»Alles in Ordnung bei euch? Warum seid ihr nicht auf Patrouille?«, schaltete sich eine dritte Stimme ein.
»Simon dachte, er hätte etwas gesehen. Es war nichts.«
»Dann macht, dass ihr hier weg kommt, sonst mache ich euch Beine.«
»Jawohl.« Angela hörte, wie sich Schritte entfernten, dann herrschte wieder Stille. Bis auf ihren eigenen Atem. Eine erneute Schmerzenswelle überrollte sie.
Ich werde ihn umbringen, dachte sie und drückte so stark sie konnte mit der flachen Hand auf den Bauch. Der Schmerz wurde erträglicher.
Mit vorsichtigen Schritten ging sie vor bis zur Leiter. Sie atmete dreimal tief durch und legte die Hand vom Bauch an die Sprosse. Sofort kam der Schmerz zurück und dass sie ihre linke Hand nicht belasten konnte, machte den Aufstieg noch um ein Vielfaches beschwerlicher. Es waren nur wenige Meter bis nach oben, doch diese wurden für Angela zur reinsten Qual. Immer wieder musste sie anhalten und sich um die Leiter schlingen, gleichzeitig geplagt von der verletzten Hand und den Krämpfen, die sich durch ihre Eingeweide wühlten, ganz zu schweigen von der gebrochene Rippe. Mit ihrer Linken versuchte sie so gut es ging auf die Bauchdecke zu pressen, doch das machte die Schmerzen in Finger und Daumen nur umso schlimmer. Tränen stiegen ihr mit jedem Schritt nach oben in die Augen und raubten ihr auch noch den Rest an Sicht, den sie sich in der Dunkelheit bewahrt hatte.
Als ihr Kopf dann gegen die Decke stieß, hätte sie vor Schreck beinahe die Leiter losgelassen. Sie biss sich auf die Unterlippe und streckte ihre Hand aus, um die Luke zu öffnen. Sie weinte, während sie versuchte Druck aufzubauen. Doch an Aufgeben war nicht zu denken. Sie wollte brüllen, ihren Schmerzen irgendwie Gehör verschaffen, doch stattdessen blieb sie stumm, denn sie wusste, dass dies ihr Ende wäre. Was würden die Wächter wohl sagen, wenn sie sie hier fänden? Auf keinen Fall etwas Gutes, dachte Angela verbittert. Durch den Tränenschleier hindurch sah sie, wie ein schummriger Spalt sich vor ihren Augen auftat. Sie versuchte ihre Anstrengungen zu verdoppeln und wäre um ein Haar die Leiter heruntergestürzt als sich ihre Schmerzen noch einmal steigerte.
Als sie schließlich durch das Loch geklettert war, blieb sie völlig erschöpft liegen. Sie fühlte sich leer. Nicht einmal die Schmerzen schafften es in diesem Moment wirklich in ihr Bewusstsein zu dringen. Sie bemerkte auch nicht, dass ihre Kleidung, durchnässt vom Schweiß, an ihrem Körper klebte oder dass ihr Zeigefinger gar nicht mehr aufhören wollte zu bluten. Sie lag einfach nur da und betrachtete den Mond durch das schmale Fenster. Er ist schön, dachte sie. Wirklich schön. Ich könnte ewig hier liegen bleiben und ihm zusehen. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Es war kein sehr glückliches Lächeln. Vielmehr sah es aus als wäre es ihr eingemeißelt worden. Es war das Lächeln einer Puppe, die nicht anders konnte. Ich glaube ich werde hier einfach bleiben und ihm zusehen. Für immer. Sie begann leise zu lachen, doch verstummte sofort wieder als sich noch etwas anderes in ihr regte. – Aber er wird untergehen, nicht wahr?, sagte diese andere Stimme, die so viel vernünftiger, aber auch trauriger klang. Diese Stimme hatte Schmerzen. – Und was wirst du dann machen. Warten? Worauf? Dass er wieder aufgeht? Doch das wird er nicht. Nicht für dich. Wenn du jetzt nicht aufstehst, dann wird er für dich für immer untergehen. Die Stimme schwieg wieder und noch immer lag das Lächeln auf ihren Lippen. Aber jetzt gerade ist er da.
– Du hast eine Aufgabe. Dein Mond ist nicht dort oben. Dein Mond ist hier.
Mein Mond? Ich sehe meinen Mond.
– Willst du IHN wirklich enttäuschen, Angela? Das Lächeln bekam leichte Risse und für einen Augenblick erschien anstelle des Mondes das Gesicht eines Mannes.
Nein… Aber ich kann nicht mehr.
– Doch du kannst. Und du wirst. Du hast schon viel mehr überstanden als das hier.
Aber… Die Schmerzen…
– Die hören auf. Doch was nicht aufhört ist die Schande, wenn du jetzt nicht aufstehst. Du wirst ihm nie wieder unter die Augen treten können und dir selbst auch nicht. Das Lächeln verschwand. Ebenso die Stimmen. Angela war wieder allein und lag auf dem Boden des Ganges. Und sie hatte Schmerzen. Doch nicht mehr so starke. Wie vorhergesehen ebbten die Krämpfe wieder ab, doch sie würden zurückkehren. Ihre Hand konnte sie gar nicht mehr spüren. Nur noch ein schmerzhaftes Pochen ging von den Verletzungen aus, die Regelmäßig ihren Arm erbeben ließen. Ich sollte mir nichts vormachen. Die Hand ist nicht mehr zu retten. Es war ein sachlicher Gedanke, ohne jede Bitterkeit. Noch konnte sie sie benutzen, doch selbst im Zwielicht konnte sie erkennen, wie sie sich langsam blau verfärbte.
Angela rappelte sich auf und schlich zur Tür des Bauern. Wie zuvor konnte sie seine tiefen Atemzüge hören. Doch vielleicht tut er nur so. Wie letztes Mal… Sie konnte kein Risiko eingehen. Sie wollte nach dem Knüppel greifen, doch er war nicht mehr da. Sie blickte zurück, konnte ihn aber nirgends entdecken. Es musste also ohne gehen. So leise wie möglich öffnete sie die Tür. Sie war nicht abgeschlossen.  Sie spähte in das Zimmer. Sie konnte den Berg sehen, der sich unter der Decke hob und senkte. Ansonsten schien niemand anderes im Zimmer zu sein. Auf Zehenspitzen schlich sie weiter. Blut tropfte von ihrer Hand auf den Boden, doch das störte sie nicht weiter. Sie hatte etwas ausgemacht, was sie all ihre Aufmerksamkeit vereinnahmte.
An einen Pfosten des Bettes gelehnt stand ein Knüppel, ähnlich dem, den sie Jol abgenommen hatte, doch bei näherer Betrachtung ungleich feiner gearbeitet. Sie hob ihn auf. Er lag gut in ihrer Hand. Ich will lieber kein Risiko eingehen. Bevor die nächste Welle an Krämpfen sie daran hindern konnte, schlug sie zu. Direkt auf den Kopf. Ein kurzen KLONG durchzuckte den Raum dann war alles still. Er hat nicht einmal geschrien, dachte sie. Diesmal war das Grinsen echt. Dann stand sie wie angewurzelt vor dem Bett. Ich kann es jetzt beenden. Ich muss nur noch ein paar Mal zuschlagen und es wird vorbei sein.
Sie hob die Keule.
Sie schlug zu.
Sie hielt kurz vor dem Kopf an.
Nein. Das wäre zu einfach, dachte sie. Er soll sich fürchten. Sich jeden Tag fragen, ob jemand in dem Schatten hinter ihm steht. Herr Brandel wird es nicht gutheißen, was er getan hat. Er wird ihn leiden lassen wollen und ich werde es dann für ihn tun. Angela ließ die Keule geräuschlos zu Boden gleiten. Die Krämpfe begann wieder und ihre Rippe machte sich bemerkbar, doch etwas anderes drängte sie zurück. Und dieses etwas verlieh ihr ein Hochgefühl, dass sie selbst die sterbende Hand vergessen ließ.
Sie nahm sich eine der ledernen Mappen, die auf dem Tisch lagen und begann sämtliche Briefe hineinzustecken, die sie finden konnte. Es waren nicht viele. Anscheinend hatte Bauer Troy nach ihrer letzten Begegnung aufgeräumt, doch vielleicht ließ sich dennoch etwas aus diesen Schriftstücken hinauslesen. Als sie damit fertig war, überprüfte sie den Puls des Bauern. Er lebte noch. Gut. Bleib am Leben, damit ich dich langsam erledigen kann. Dann verschwand sie aus dem Raum und zog die Tür leise hinter sich zu. Bauer Troy würde es bereuen, sich so sicher gewesen zu sein.
Überraschenderweise war der Rückweg für Angela kein Problem. Zumindest bis das Hochgefühl abklang und die Schmerzen wieder kamen. Sie war gerade wieder vor der Hintertür des Hauses und lauschte, als es so weit war.
»Verdammt.«, keuchte sie leise. Der Schmerz war so intensiv, dass sie nicht richtig lauschen konnte, wann die Wachen vorbei gingen. Sie musste die Stange entfernen und die Tür einen Spalt öffnen, um wieder etwas hören zu können. Es war immer noch der gleiche Wach-Rhythmus. Bei der nächsten Gelegenheit huschte sie durch den Spalt, schloss die Tür wieder und drückte sich in die Schatten. Den dünnen Stab hielt sie dabei weiterhin in der Hand. Falls jemand sie jetzt noch entdeckte, würde sie sich nicht kampflos ergeben. Oder aber ihr Bauch brachte sie vorher um. Diese Welle war bisher die Schlimmste und sie drohte vornüber zu fallen, doch schaffte es gerade noch sich auf den Beinen zu halten. Wieder gingen zogen drei Schatten vorbei und Angela humpelte ihnen hinterher.
Woran auch immer es lag: Schicksal, Können oder ganz einfach nur Glück. Sie wurde nicht entdeckt und schaffte es aus dem Kreis der Überwachung heraus in die Dunkelheit. Sie zwang sich weiter, bis sie nicht mehr konnte, dann ließ sie sich unter einem Baum nieder. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie die Wachen suchen würden. War sie weit genug gekommen?
»Was für eine wunderbare Nacht, nicht wahr?«, sagte sie zu sich selbst und musste Lachen. »Bald werden sie dich jagen und doch sitzt du hier unter einem Baum und kannst nicht weiter.« Ihr Lachen wurde beinahe hysterisch, doch klang auch ebenso schnell wieder ab, wie es gekommen war.
»Beruhig dich, Angela. Du hast es jetzt schon so weit geschafft. Jetzt musst du nur noch den Weg zurück in die Stadt finden und die Informationen Herrn Brandel bringen, dann darfst du meinetwegen sterben.«
Sie zwang sich wieder aufzustehen und orientierte sich an den Sternen. Dann ging sie los. Einen Fuß vor den anderen und bedrohlich schwankend. Doch sie ging. Und das war alles, was zählte.