Inhaltsverzeichnis
Ein neues Zuhause
Kurt hatte sein Zeitgefühl verloren. Zwar ritzte er jeden Tag vor dem Schlafen, eine Kerbe in die Wand, doch diese Striche bedeuteten hier unten, in den Katakomben, nichts. Wer konnte schon sagen, ob sich die Ruhezeiten wirklich an dem Tag-Nacht-Rhythmus orientierten, ob die Tage wirklich gleich lang waren oder ob ihre Wärter ein anderes Spiel mit ihnen trieben? Er zumindest konnte es nicht.
In den ersten Tagen ihrer Anstellung, wie die Diener es noch immer nannten, hatte es einige Auseinandersetzungen mit Mr. Bogda gegeben, doch sie hatten sich nach dem dritten Tag darauf geeinigt – Kurt hatte ein Messer von der Ausgabe entwendet und war nachts am Bett des Muskelberges aufgetaucht – dass es besser für alle wäre, man würde gut miteinander auskommen. Seitdem hatte es keine Probleme mehr gegeben. Allein Sam machte ihm noch Sorgen. Er gab sich meist höflich, beinahe sogar freundlich und arbeitete so hart, wie alle anderen auch, doch seine aalglatte Normalität hatte etwas Bedrohliches an sich. Jedes Mal, wenn sie in der Gruppe mit ihm zusammensaßen, stellten sich Kurt jedes Mal die Nackenhaare auf.
So wie auch jetzt wieder. Alle Leute hatten sich gerade auf Geheiß der Dienerschaft im großen Raum versammelt und warteten gespannt darauf, was es zu verkünden galt, als sich Kurts Anspannung plötzlich legte. Irritiert blickte er sich um. Sam war verschwunden.
»Wo ist Sam?«, fragte Kurt.
»Keine Ahnung.«, brummte Mr. Bogda. »Er wird schon wissen, was er tut.«
»Ich traue ihm nicht.«
»Das ist dein Problem. Kümmere dich um deine Dinge und wir kümmern uns um unsere. So lautet doch unsere Abmachung, oder?«
»Es geht mich aber etwas an«, sagte Kurt und funkelte Mr. Bogda aus den Augenwinkeln an. Dieser wollte gerade etwas erwidern, als Tanja dazwischen ging.
»Jetzt beruhigt euch beide wieder. Dort ist er.« Sie deutete zwischen zwei anderen Gruppen hindurch auf die andere Seite des Raumes. Dort lehnte Sam an der Wand und plauderte, anscheinend völlig zwanglos, mit einer der Dienerinnen.
»Was tut er da?«, fragte Pick, der mit Eimer und Kelle bewaffnet hinter ihnen her stapfte. Er war noch zu klein zum Kämpfen, also war er dafür zuständig, dass sie alles hatten, was sie brauchten. Unter seinen dürren Armen hatte er sich mehrere Bandagen gesteckt und unter dem Kinn klemmte eine Schachtel, in der sich eine bräunliche Wundsalbe befand.
»Ich habe keine Ahnung.«, sagte Kurt. »Lasst uns zu Pat gehen. Er sieht so aus, als warte er schon auf uns.« Pat stand dicht vor der kleinen Bühne, auf die sich in unregelmäßigen Abständen ein Diener stellte, um etwas zu verkünden. So auch jetzt.
Es war eine Frau mit verschlagenem Gesicht, die mit wachsender Ungeduld wartete, bis sich all ihre Schäfchen um sie gescharrt hatten.
»Herr Brandel ist zufrieden mit dem Fortschritt, den Ihr macht und möchte Euch in Euren Bemühungen unterstützen.« Gespannte Stille im Publikum. Hier und da huschte ein stolzes Lächeln über ein naives Gesicht, doch die meisten blickten weiter starr auf die Dienerin. »Ihr werdet jetzt in Euren bestehenden Gruppen neuen Räumlichkeiten zugewiesen. Dort findet Ihr alles, um unserem Herrn noch besser zu Diensten sein zu können. Die öffentlichen Räumlichkeiten stehen Euch weiterhin zu Verfügung. Geht wieder auf eure Zimmer, Ihr werdet von dort aus abgeholt.« Sie wandte sich um und nickte einigen bereitstehenden Dienern zu.
Die Versammlung löste sich auf, als sich die einzelnen Gruppen langsam auf den Weg zu ihren Räumen machten. Die Räumlichkeiten stehen uns weiterhin zur Verfügung. Lächerlich, dachte Kurt, denn bisher hatten sie nur den großen Trainingsraum nutzen können, denn die anderen Räume waren dem Training mit den Ringen vorbehalten und soweit er wusste, war er der Einzige, der bisher einen hatte.
»Was das wohl für Räume sind?«, fragte Pat, sobald sich die Tür hinter ihnen schloss.
»Keine Ahnung, aber ich hoffe es gibt ein Bad«, sagte Mr. Bogda. »Ich habe keine Lust mehr, mir eines mit all den anderen zu teilen.«
»Stell dich nicht so an. Immerhin ist es besser als auf der Straße«, sagte Tanja und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Pass auf was du sagst«, knurrte er und machte einen Schritt auf sie zu. Tanja reckte das Kinn nach vorne. »Sonst was?«
Bevor Mr. Bogda noch etwas erwidern konnte, wurde die Tür aufgestoßen und eine kleine Dienerin trat hinein. »Folgt mir.« Sie drehte sich wieder um und ging. Nach einem kurzen Augenblick der Starre, folgte ihr die Gruppe, wobei Sam noch einen kurzen Moment zurückblieb und dann erst zu ihnen aufschloss.
Von der Haupthalle aus, gingen sie kurze und enge Gänge entlang, bis sie schlussendlich vor einer Tür standen. Die Dienerin drehte einen Schlüssel um und reichte ihn dann Tanja.
»Dies hier ist sind Eure neuen Räume. Ihr findet dort einen Schlafraum, Trainingsgelegenheiten und wenn die Zeit gekommen ist, auch einen Raum für das Ringtraining«, trug sie monoton vor.
»Gibt es auch ein Bad?«, fragte Mr. Bogda.
»Ja.« Er lächelte. Die Dienerin öffnete die Tür und ließ sie ein. »Das Essen wird täglich gebracht. Teilt es Euch ein. Wenn Ihr etwas benötigt, es wird Tag und Nacht ein Diener vor der Tür stehen.« Dann schloss sie die Tür und sie standen in einem großen Raum.
»Woah«, machte Pick. Eine Aussage, der sich Kurt durchaus anschloss. Vor ihnen erstreckte sich ein Trainingsraum.
Er war nicht so groß wie der Saal, in dem sie trainiert hatten, doch für sie allein, was ihn fast schon dekadent riesig wirken ließ. Es gab neben Gewichten und anderen Geräten auch mehrere Stühle und sogar einen Tisch. Beleuchtet wurde der Raum von mehreren Öllampen und in einer Ecke stand das dazugehörige Öl.
»Das ist ja ein richtiger Salon«, sagte Pick. Er hatte offenkundig keine Ahnung, was ein Salon war, doch das tat nichts zur Sache.
»Ja, das ist es«, sagte Tanja, die entweder genauso wenig Bescheid wusste oder aber ihrem Sohn die Illusion nicht rauben wollte. Keiner von uns anderen widersprach, nicht einmal Mr. Bogda, dem es wohl einfach egal war.
Sie begannen ihr Training, während Pick neugierig durch die anderen Räume streifte. Nach einem Aufwärmtraining, dass Tanja, Pat und Kurt gemeinsam machten, begann Kurt die schweren Eisenkugeln zu stemmen, während Pat und Tanja in den kleinen Ring stiegen, um sich mit Sparring die Zeit zu vertreiben. Mr. Bogda setzte sich auf einen der Stühle und schien zu dösen. Sam verabschiedete sich höflich von ihnen und ging wieder zurück in Richtung Haupthalle. Die Dienerin, die vor der Tür Stellung bezogen hatte, hielt ihn nicht auf.
Es dauerte nicht lange, und Pat gab auf. Er war keine wirkliche Kämpfernatur und Kurt machte sich ein wenig Sorgen, was mit ihm passieren würde, wenn es Hart auf Hart kam.
»Wenn ich kämpfen muss, dann kann ich es«, sagte er immer, doch Kurt zweifelte daran. Irgendwann kehrte Pick von seinen Erkundungen zurück und begann sie mit Wasser und, falls nötig, Bandagen zu versorgen.
Nach einigen Stunden und viel Schweiß später kam Sam zurück, gefolgt von einer grimmig dreinblickenden Frau in Uniform. In ihrer Hand hielt sie einen Koffer.
»Es ist an der Zeit, dass ihr eure Ringe bekommt. Kommt her« Einer nach dem anderen ging zu ihr und verließ sie wieder mit einer kleinen Schatulle aus dem Koffer. Pick versuchte es erst gar nicht und auch Kurt blieb gegen die Wand gelehnt sitzen.
»Was ist mit dir?«, fragte ihn die Dienerin, die zuerst den Raum betreten hatte.
»Ich bin bedient«, sagte Kurt und hob die Hand. Unter dem Handschuh zeichneten sich nun die Konturen eines Ringes ab. Die Frau zog die Augenbrauen nach oben und kam einen Schritt auf ihn zu.
»Farbe?«, fragte sie und Kurt sah, dass es nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte.
»Schwarz«, sagte er. Ihre Augen waren nur noch schmale Schlitze. Einige Augenblicke verharrten sie, dann drehten sich um und ging.
»Warum hast du uns nicht gesagt, dass es so ein Ring ist.« Mr. Bogda kam zu ihm, die Schatulle in seinen Händen.
»Jetzt weißt du es.«
»Wo hast du ihn her?« Ein gieriger Ausdruck trat auf das unfreundliche Gesicht.
»Gefunden«, sagte Kurt. Er hatte nur wenig Lust ihm seine Familiengeschichte auf die Nase zu binden.
»Nein, hast du nicht. Es gibt keine Ringe, die man finden könnte. Also entweder hast du ihn gestohlen, oder du bist doch nicht einer von uns.«
»Was spielt das für eine Rolle. Jetzt sind wir hier und ich habe ihn. Wo ist das Problem.«
»Das Problem ist, dass ich nicht weiß ob…«, sagte Mr. Bogda, doch da wurde er durch das erneute Aufschlagen der Tür unterbrochen. Ein alter Mann stand im Durchgang.
»Kurt, folge mir.«, sagte Piérre und machte auf dem Absatz kehrt. Kurt folgte.
Das Angebot
Ein beklommenes Gefühl machte sich in ihm breit. Bisher hatte er angenommen, dass allgemein bekannt war, dass er seinen eigenen hatte. Gerade nach Piérres Erläuterungen bei ihrer Ankunft.
Der Diener führte ihn durch ein Labyrinth an Gängen, bis er vor einer Tür anhielt.
»Wenn ich bitten darf.«, sagte der Diener mit einem Lächeln.
»Habe ich eine Wahl?«, fragte Kurt.
»Nein.« Er trat durch die Öffnung und Piérre folgte ihm. Feuer prasselte in einem Kamin, um den mehrere bequeme Ohrensessel angeordnet waren. In einer Ecke stand ein breiter Schreibtisch. Dieses Zimmer war das glatte Gegenteil zu den kahlen Räumen, in denen sie hausten.
Ihnen wurde Tee gereicht. Mit einer Handbewegung schickte Piérre den Diener aus dem Raum.
»Warum bin ich hier?«, fragte Kurt und musterte sein gegenüber. An der Hand des Dieners funkelten zwei Ringe in unterschiedlichen Farben, doch Kurt konnte nicht genau erkennen, welche es waren. Vielleicht rot und braun?
»Wir haben einige Fragen zu deinem Ring. Obsidian ist selten in unserem Teil der Welt«, sagte Piérre.
»Ich dachte nicht, dass es wichtig wäre«, sagte Kurt.
»Ist es nicht.“ Piérre lächelte milde. »Doch es hat die anderen eingeschüchtert. Nicht viele wissen um die Kräfte von Obsidian.« Nervös spielte er mit der Wölbung in seinem Handschuh. Piérre lächelte.
»Keine Sorge. Wir wollen ihn nicht haben. Es wird eine besondere Attraktion für die Gäste sein, Euch kämpfen zu sehen. Und bevor Ihr Euch zu sehr sorgt. Natürlich wissen wir alle von Euren, sagen wir einmal, Umständen. Wenn Ihr Euch gut anstellt, hat Herr Brandel vielleicht Verwendung für Euch, außerhalb der Arena.« Kurts Kinnlade klappte herunter.
»Was muss ich tun?«
»Das was man dir sagt.« Kurt nickte. Er nahm einen Schluck von seinem Tee, um sich etwas zu beruhigen. Es konnte eine Lüge sein. Vielleicht erlaubte sich Tuck Brandel einfach einen Scherz mit ihm.
»Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen muss?«, fragte Kurt nach einer Weile des Schweigens.
»Nein. Wird werden Euch beizeiten wissen lassen, was notwendig ist. Geht jetzt. Ihr müsst trainieren. Viel Glück Kurt.« Piérre und klatschte in die Hände. Sofort kam ein Bursche in den Raum und verbeugte sich leicht vor Kurt und deutlich tiefer vor Piérre.
»Joshua, sei so gut und geleite Kurt zurück in den Gästetrakt.« Der Junge nickte und verbeugte sich noch einmal.
»Wenn Sie mir bitte folgen mögen«, sagte er zu Kurt gewandt. Er stand auf und nickte Piérre zum Abschied zu.
Der junge Diener legte ein beeindruckendes Tempo vor. Keiner von ihnen sprach ein Wort und sie hielten erst an, als sie wieder vor der Tür zum Salon standen. »Einen schönen Tag wünsche ich.«, sagte der Diener und schon war er wieder um eine Ecke verschwunden. Kurt öffnete die Tür und sah sich fünf Augenpaaren gegenüber, die ihn neugierig musterten.
»Was ist passiert?«, fragte Tanja. Kurt zuckte mit den Schultern.
»Es ist nichts. Er hatte nur ein paar Fragen zu meinem Ring.« In den Gesichtern der anderen konnte er sehen, dass sie es ihm nicht eine Sekunde glaubten, außer vielleicht Pick, der sich nach der Antwort schon wieder seinem Wassereimer zuwandte, bis er bemerkte, dass seine Mutter immer noch Kurt anstarrte.
Mr. Bogdas Ohrringe klirrten laut, als er auf Kurt zustürmte. Der Hüne erwischte ihn auf dem falschen Fuß und schleuderte ihn mit seinen mächtigen Pranken gegen die Wand. Mr. Bogda hielt ihn dort fest und seine Füße baumelten gut einen halben Meter in der Luft.
»Lass mich runter.«
»Erst wenn du mir sagst, was der Alte wollte.«, schnaufte Mr. Bogda.
»Habe ich doch schon gesagt. Er hatte ein paar Fragen. Das war’s.«
»Lügner.« Er drückte noch stärker zu. Kurt schnappte nach Luft, doch er konnte nicht mehr richtig atmen.
»Du bringst mich um«, keuchte Kurt. Mit ungelenken Bewegungen versuchte er seinen Gegner zu treffen und ihm aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch Mr. Bogda stand vor ihm wie ein Fels und es war unmöglich ihn zu bewegen. Langsam wurde ihm schwindelig und sein Blick verschwamm.
Der Druck ließ nach und Kurt krachte auf den Boden. Eine Hand griff nach ihm und half ihm auf. Tanja.
»Danke.« Er schnappte nach Luft und sog sie in gierigen Zügen ein.
»Ich habe nichts gemacht«, sagte sie nur. Als Kurts Blick sich klärte, erkannte er seinen Retter. Sam stand über dem, am Boden liegenden, Mr. Bogda, eine der schweren Metallkugeln in der Hand. Ein dünnes Rinnsal an Blut lief über den Kopf des Hünen und färbte die Ohrringe rot. Sam verzog keine Miene. Er hätte genauso gut auf dem Markt oder beim Frühstück sein können. Keine Regung verriet, dass er gerade seinen Boss niedergeschlagen hatte. Allein am schwachen auf und ab des Brustkorbes konnten sie erkennen, das Mr. Bogda noch am Leben war.
»Warum hast du mir geholfen?«, fragte Kurt. Sam zuckte nur mit den Schultern
»Warum nicht. Es bringt nichts, wenn wir uns gegenseitig umbringen. Der Boss wird das verstehen« Mit Hilfe von Pat, zog er den Verletzten zu einer Bank und legte ihn drauf, wobei der halbe Körper weiterhin auf dem Boden lag. Dann machte sich Pick daran die Wunde zu reinigen und zu verbinden. Es war nicht die erste Verletzung, an der er sich zu schaffen machte.
Seine Dienste waren über die letzten Wochen nützlich gewesen. Jeder von ihnen, mit Ausnahme von Sam, hatte sich die ein oder andere kleine Schramme zugezogen und Pats Kopf zierte eine Platzwunde. Nur ans Nähen wollten sie den Jungen noch nicht lassen. Das überließen sie dann doch, den speziell dafür ausgewiesenen Dienern.
Sie machten eine Pause, bis sich Mr. Bogda wieder rührte. Er funkelte Kurt hasserfüllt an, doch nachdem Sam ein paar Worte zu ihm geflüstert hatte, beruhigte er sich wieder.
»Nichts für ungut.« Kurt antwortete nicht, nahm die Geste jedoch an. Irgendwann brachten ein paar Diener das Essen.
Das Training beginnt
Sie aßen es schweigend. Erst als jeder den letzten Bissen vertilgt hatte, brach Pat das Schweigen.
»Wollen wir die Ringe ausprobieren?«, fragte er und ein schelmisches Grinsen legte sich auf seine Lippen. Zustimmendes Gemurmel und Nicken ging durch die Runde und keine Minute später standen sie alle in einem zweiten Raum. Er war ungefähr so groß wie der andere, doch kreisrund und mit eingelassenen Stufen in den Wänden, breit genug, um darauf zu liegen. Hier hörten sie keine Geräusche mehr von den anderen Gruppen und ihre eigenen Stimmen hallten von den Wänden wider.
»Wie benutzt man die Dinger?«, fragte Mr. Bogda und blickte Kurt an. Er blickte sich um und sah, dass ihn auch die anderen erwartungsvoll ansahen.
»Schaut her«, er zog sich seinen Handschuh aus und zeigte seinen Ring in die Runde. »Es ist egal, an welchem Finger ihr euren Ring tragt, es muss sich nur gut anfühlen« Geduldig sah er zu, wie die anderen ihre Ringe nacheinander auf jeden ihrer Finger steckten. Sam trug seinen bereits und wirkte eher desinteressiert. Der Stein in seinem Ring war violett. Vielleicht ein Amethyst, dachte Kurt und machte sich eine Notiz im Kopf, schließlich mochte es einmal wichtig werden.
Nachdem alle mit dem Ergebnis zufrieden waren, wobei Mr. Bogda seinen Ring nur über den kleinen Finger bekam, richtete Kurt seine Hand auf einen herumliegenden Stein. Er beschwor die Kraft in sich herauf und ließ ihn einige Zentimeter über den Boden schweben, bevor er ihn wieder fallen ließ. Eine Schweißperle bildete sich auf seiner Stirn.
»Kann ich das auch machen?«, fragte Pat neugierig und richtete seine Hand ebenfalls auf den Stein.
»Nein, so einfach ist das nicht. Erst einmal müsst ihr wissen, was eure Ringe können. Zeigt einmal her.« Nacheinander betrachtete er die Steine. Der von Sam war tatsächlich ein Amethyst, doch als er es ihm sagte, schien es ihn nicht im Geringsten zu überraschen und so bemühte sich Kurt nicht darum ihm zu sagen, was er damit machen konnte. Er hatte das Gefühl, dass er es ohnehin schon wusste.
»Pat. Dein Stein ist ein Beryll, genauso wie deiner Bogda. Mit ihnen könnt ihr das Feuer kontrollieren. Tanja. Dein Stein ist aus Bernstein. Mit ihm kontrollierst du die Erde. Ihr müsst aber immer darauf achten, dass ihr den Kontakt zu eurer Quelle nicht verliert, sonst war’s das mit der Kontrolle.«
»Was ist mit deinem? Bei deinem ist es anders, oder?«, fragte Pick.
»Mein Ring ist aus Obsidian. Mit ihm kann ich Materie kontrollieren, sie aber nicht verändern.«
»Und was ist mit Sams?«
»Ich weiß alles über meinen«, sagte Sam, ohne eine Miene zu verziehen. Keiner fragte, woher, doch es sagte eine ganze Menge über ihn aus.
»Und wie benutzen wir diese Dinger genau?«, fragte Mr. Bogda.
»Ihr müsst eine Verbindung aufbauen. Das zu erklären ist schwer. Versucht einfach in euch hineinzuhorchen. Ich war immer besser darin es zu tun, als es zu erklären. Doch wir sollten alles hier haben, was wir brauchen.« Erde war kein Problem, schließlich befanden sie sich in einem Raum aus blankem Stein, für Feuer waren mehrere Schalen aufgestellt, aus denen Flammen über den Rand leckte. In der hinteren Ecke stand ein Wasserbecken, sodass auch Sam üben konnte, denn der Amethyst stand für das Wasser. Kurt sah eine Weile zu, wie sich die anderen abmühten, jedoch ohne Ergebnis. Wie auch er selbst, machte Sam keine Anstalten zu üben, sondern ging nach einer Weile zurück in den Salon, wahrscheinlich um dort noch ein wenig zu trainieren. Das wird schwerer als erwartet. Pick würde es wohl noch am Ehesten schaffen, doch Erwachsenen den Umgang mit Ringen beizubringen wird schwer, dachte Kurt.
»Kommt mal her«, rief er ihnen zu. Sie versammelten sich in einem losen Halbkreis vor ihm.
»Versucht es kleiner. Ich glaube ihr stellt euch viel zu große Ergebnisse vor.« Er konnte selbst kaum glauben, dass er den Lehrer spielte, doch immer wieder klangen ihm die Worte Piérres im Kopf. Er würde alles geben, um wieder einmal die freie Luft der inneren Stadt zu schnuppern.
»Was meinst du mit kleiner?«
»Versuch nicht gleich einen Feuersturm zu entfachen. Nimm dir eine Kerze und versuche die Flamme nur mit deinen Gedanken zu bewegen. Gib mir einmal deinen Ring.« Er streckte die Hand aus und nach kurzem Zögern zog Pat sich seinen vom Finger. Kurt steckte ihn sich über seinen kleinen Finger und ging zu einem des Feuerbecken. Er schloss die Augen, konzentrierte sich auf die ganz eigenen Schwingungen des Ringes. Dann öffnete er wieder die Augen. Ganz langsam fingen die Flammen an, sich in kleinen Kreisen zu bewegen. Er nahm den Ring wieder ab und warf ihn Pat zu.
»Siehst du. Geh und lass dir von den Dienern Kerzen geben. Dann versuchst du damit genau das, was ich hier gemacht habe«, sagte er und sah fragend zu Tanja. »Brauchst du Hilfe.«
»Ich glaube, ich habe es verstanden«, sagte sie und lächelte. Sie kniete sich auf den Boden und schloss die Augen. Kleine Falten bildeten sich auf ihrer Stirn. Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn und ihr Atem ging schwer und stockend.
»Verdammt.« Sie ließ sich rückwärts auf den Boden fallen und ballte die Hände zu Fäusten.
»Nicht aufgeben. Alles eine Frage der Übung.«
»Ich weiß«, sagte sie keuchend. »Was ist mit dir?«
»Nicht heute. Ich kenn’ mich schon ein wenig aus. Sehen wir erstmal zu, dass ihr die Grundlagen beherrscht.« Er lächelte ihr aufmunternd zu und sie erwiderte das Lächeln. Pat kam mit ein paar Kerzen zurück, entzündete zwei und gab eine davon Mr. Bogda, der sie widerwillig entgegennahm.
Eine Zeit lang trainierten sie stumm vor sich hin, unterbrochen nur von wütendem oder verzweifelndem Schnauben.
»Es gibt Essen.« Sam stand in der Tür. Im Salon erwartete sie ein einzelner Diener an der Tür.
»Kann ich noch etwas für die Dame und die Herren tun?«, fragte der Junge, der Kurt schon von seinem Treffen mit Piérre zurückbegleitet hatte.
»Ich brauche nichts«, sagte Kurt, doch Pat stürmte sofort auf den Diener zu und ein Schwall Worte prasselte auf den Burschen ein, den Kurt nicht verstand. Doch der Diener nickte, verbeugte sich kurz und verschwand.
»Es lässt sich hier aushalten«, sagte Pat, als sie mit dem Essen fertig waren.
»Findest du? Du weißt schon, dass wir kämpfen sollen, oder?«, fragte Tanja, doch auch sie lächelte.
»Das ist es doch wert. Und vielleicht muss ich ja gar nicht.«
»Das glaube ich nicht. Und selbst wenn, dann bräuchte der feine Herr Brandel die anderen nicht mehr.«
»Ich hoffe auf einen Kampf«, sagte Mr. Bogda und leckte sich über die Lippen. »Langsam wird es doch ein wenig langweilig.«
»Du kannst gerne zu uns in den Ring steigen«, sagte Tanja. »Bis jetzt saßt du nur an der Seite und hast geglotzt.«
»Wir können ja morgen schauen, wie du in einem fairen Kampf gegen mich durchhältst«, sagte Mr. Bogda und lächelte, sodass sein Goldzahn im Licht schimmerte. Tanja nickte, doch wirkte leicht verunsichert.
»Aber ohne Ringe«, warf Mr. Bogda noch ein.
»Ohne Ringe«, sagte Kurt.
Nach dem Essen ging Pat noch einmal zurück, während der Rest sich in ihren neuen Schlafraum zurückzog. Auch hier standen Stockbetten, doch diesmal versuchte niemand die alte Ordnung in Frage zu stellen, zumindest nicht heute Abend. Sie legten sich hin und nach kurzer Zeit konnte Kurt das grunzende Schnarchen Mr. Bogdas hören. Auch die anderen schienen schnell in einen tiefen Schlaf zu gleiten. Kurt bekam noch mit, wie Pat sich ins Zimmer schlich, dann sank auch er in einen tiefen Schlaf.
Zum ersten Mal, seit sie hier waren, wurden sie nicht geweckt. Um ihn herum hörte Kurt das Schnarchen der anderen. Geräuschlos kletterte er die kurze Leiter hinab und kleidete sich an. Im Salon stand schon das Frühstück bereit. Brot und Suppe. Sie hing ihm langsam zum Hals heraus. Wie schnell man sich doch einer Sache überdrüssig werden konnte, für die man noch vor ein paar Wochen getötet hätte. Er aß und horchte in die Stille. Noch immer schien niemand wach zu sein.
Im Kolosseum, so hatte Pat den zweiten Raum wegen seiner Form genannt, betrachtete er die drei kreisrunden Steine, die vor ihm auf dem Boden lagen. Es kann nicht schaden, wenn ich doch ein wenig trainiere, dachte er. Für den Anfang begnügte er sich damit einen Stein im Kreis schweben zu lassen, dann nahm er einen zweiten hinzu und schließlich einen dritten. Schweiß rollte ihm übers Gesicht. Seine Bestform hatte er noch lange nicht wieder erreicht. Keuchend lehnte er sich gegen die Wand.
»Darf ich dir Gesellschaft leisten?« Es war Tanja. Kurt hatte nicht bemerkt, wie sie hereingekommen war. Er nickte.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Ich mach mir Sorgen. Schon die ganze Zeit. Doch solange es Pick gut geht, kann ich jedenfalls ruhig schlafen.«
»Muss hart sein.«
»Du machst dir keine Vorstellungen.« Sie lächelte ihn an. »Wie geht es dir? Scheint mir so, als müsstest du doch ein wenig trainieren.«
»Sieht es so schlimm aus?«
»Ich glaube kaum, dass es reichen wird ein paar Steine im Kreis wirbeln zu lassen.«
»Recht hast du«, sagte er und stand auf.
Sie trainierten schweigend nebeneinander und nach einiger Zeit schaffte er es, die drei Steine konstant in der Luft zu halten, während sich Tanja abmühte und doch immer noch keine Fortschritte machte.
»Ich raff’s einfach nicht.« Tanja hatte alle Viere von sich gestreckt und blickte an die Decke.
»Das braucht einfach Zeit«, sagte Kurt. Sorgen machte er sich trotzdem. Normalerweise gelang es einem Kind binnen weniger Minuten einen ersten Effekt zu erzielen. Bei Erwachsenen mochte es länger dauern, doch er fragte sich, ob es ihnen überhaupt gelingen würde. Um Bogda und Sam war es nicht schade. Doch Tanja und Pick waren eine angenehme Gesellschaft und selbst für Pat hatte er mittlerweile etwas übrig.
»Wie stellst du es dir vor?«
»Wie meinst du das?«
»Welches Bild hast du vor Augen, wenn du den Stein beherrschen willst?«
»Ich weiß nicht genau. Ich will einfach das er sich bewegt.«
»Dann ist genau das dein Problem. Du willst das Resultat und stellst dir nicht vor, wie es sich anfühlt. Du musst dir die Bewegung vorstellen, die durch den Stein geht. Stellt dir Wellen vor, die sich langsam von dir aus ausbreiten. Lass den Stein weich werden.« Sie blickte ihn einen Moment lag verständnislos an, dann zuckte sie mit den Schultern und wandte sich dem Boden vor ihr zu.
»Hattest du bei deinem Ring auch solche Probleme?«, fragte sie. Er lachte.
»Ich habe nicht mit diesem hier angefangen. In der Akademie brachte man es uns mit den Ringen der vier Elemente bei. Hat man die erst einmal gemeistert, dann sind die anderen nicht mehr so schwer.«
»Was für Ringe gibt es denn noch?«
»Das erzähle ich dir später. Versuch es noch einmal«, sagte Kurt und nickte ihr aufmunternd zu.
»Ich nehm’ dich beim Wort.« Sie schloss die Augen. Kurt ließ die Steine einmal durch den Raum fliegen und dann wieder landen. Er setzte sich an den Rand und sein Blick ruhte auf Tanja. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr auch ihr die Zeit hier gutgetan hatte. Sie sah nicht mehr so ausgezehrt aus, wie noch vor ein paar Wochen. Ein Monster erwachte in seiner Brust, doch er verbannte das Gefühl in den hinteren Teil seiner selbst. Vielleicht wenn die Zeiten andere wären.
Nur widerwillig löste er seinen Blick von ihrem Körper und betrachtete den Boden vor ihr. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Nicht viel, aber immerhin etwas, dachte er, als er die winzigen Wellen sah. Beinahe hätte er sie für eine Sinnestäuschung gehalten, doch sie waren tatsächlich da. Sie gingen nicht weit, vielleicht eine Fingerlänge von ihren Händen aus, doch immerhin, es war ein Anfang. Dann waren sie verschwunden und Tanja kippte zur Seite. Kurt lief zu ihr.
»Was ist passiert?«, fragte sie. Ihr Gesicht war kreidebleich und der Rücken nass vor Schweiß.
»Langsam. Bleib sitzen. Du hast dich überanstrengt, aber es hat funktioniert.«
»Wirklich?« Sie strahlte ihn an. Er nickte.
»Warte kurz.« Er hastete zurück in den großen Raum und holte einen Becher mit Wasser und etwas zu Essen.
»Du musst darauf achten, dich nicht zu verausgaben. Hör auf deinen Körper und lass es bleiben, wenn es nicht mehr geht.«
»Da ist so viel Neues«, sagte sie.
»Ich weiß. Aber du machst das gut.«
»Du bist auch ein guter Lehrer«, sagte sie und Röte stieg ihr ins Gesicht. Kurt spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.
»Nein. Ich habe doch kaum etwas getan. Das warst alles du.« Er wandte sich ab und ging zu dem Wasserbecken in die andere Ecke des Raumes. Dort schöpfte er sich Wasser ins Gesicht und wartete ab, bis er wieder ein wenig klarer wurde. Als er sich wieder umdrehte, saß Tanja immer noch da und sah ihn belustigt an.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, es ist nichts. Wir sollten die anderen wecken. Ich wette es ist schon fast Mittag.«
»Glaube ich nicht, aber es wird trotzdem Zeit.«
Die anderen waren schon wach und saßen auf ihren Betten. Allein Mr. Bogda lag noch auf der Matratze und schnarchte.
»Wart ihr schon ohne uns trainieren?«, fragte Pat und zwinkerte ihnen zu.
»Was dagegen, Pat? Wir können nicht alle so lange schlafen wie du«, sagte Kurt und tat so, als würde er sein Bett machen, damit man sein rotes Gesicht nichts sah.
»Ich finde das Bett halt gemütlich.«
»Recht hast du. Allemal besser als die Straße. Aber komm jetzt. Du auch Pick. Es wird Zeit, dass wir richtig anfangen.«
Sie aßen gemeinsam mit Sam und als sie gerade ihre Schüsseln wieder auf das Tablett stellten, kam auch Mr. Bogda. Er schaufelte sich den Rest in den Mund und ging ins Kolosseum. Wann er wohl in den Ring steigen will?, dachte Kurt. Er beschloss, ihn nicht darauf anzusprechen. Wenig später folgten sie ihm und sahen, wie er schon vor einer der Feuerschalen stand, deren Flammen bereits über den Rand züngelten.
»Willst du ihm auch erklären, wie es geht?«, fragte Tanja leise, zu ihm herüber gelehnt.
»Warten wir noch ein wenig. Vielleicht kommt er von selbst darauf.« Er musste lachen, kämpfte es jedoch hinunter, als Mr. Bogda ihn böse anfunkelte.
»Was ist da so komisch? Los jetzt. Fangt gefälligst auch an. Ich mag es nicht, wenn man mich beobachtet«, sagte er. Sam zuckte mit den Schultern und ging zu seinem Wasserbecken. Tanja ließ sich in einer Ecke auf die Knie sinken und war bald wieder in tiefe Konzentration versunken. Pat gesellte sich zu Mr. Bogda an die andere Feuerschale.
»Sorg dafür, dass jeder genug zu Essen und zu Trinken hat, ja? Das Training mit Ringen ist anstrengend für den Körper, manchmal ohne, dass man es gleich bemerkt«, sagte er zu Pick, der sich gerade schon enttäuscht auf eine der Steine sinken lassen wollte. »Das ist eine wichtige Aufgabe. Glaubst du, du schaffst das?«
»Natürlich.« Erfreut darüber, dass er gebraucht wurde, sprang der Junge auf und lief sofort zurück in den anderen Raum, um Wasser zu holen. Wenig später kam er mit dem Wassereimer.
»Was soll ich wegen dem Essen machen?«
»Neues besorgen. Am besten kümmerst du dich gleich darum. Nerv die Diener einfach so lange, bis sie dir etwas geben. Aber übertreib es nicht, ja?« Ein schelmisches Grinsen legte sich über Picks Gesicht.
»Geht klar, Kurt«, sagte er, stellte den Eimer ab und krempelte sich demonstrativ die Ärmel hoch. Mit einem zu alles entschlossenem Gesichtsausdruck ging er zurück. Kurt lächelte ihm hinterher. Irgendwie brachte der Junge ein Stück weit unbeschwerten Alltag in die Runde. Er wandte sich seinem eigenen Training zu.
Der Schweiß floss ihm in Strömen den Rücken herab, während er die Steinkugeln um sich herum lenkte. Mehr als einmal war er versucht, sich bei Mr. Bogda für den gestrigen Zwischenfall zu revanchieren. Doch das würde nur mehr Probleme schaffen, als es löste.
Nach einer Weile hatte er die Steine so weit im Griff, dass er eine neue Herausforderung brauchte. Herr Brandel wollte Kämpfe sehen, also sollte er auch welche bekommen. Mit dem Schürhaken aus einer der Feuerschalen ritzte er eine behelfsmäßige Zielscheibe in die Runde Wand. Kein Meisterwerk, aber wird schon reichen. Nacheinander schleuderte er die Steine gegen die Wand. Alle verfehlten ihr Ziel, doch keiner Splitterte. Er hatte nichts anderes erwartet. Zielen war noch nie seine Stärke gewesen, doch besser als dies ging es allemal.
Irgendwann gab er es auf und beobachtete die anderen. Auch sie schienen Fortschritte zu machen. Allen voran Sam. Er schaffte es das Wasser mehrere Meter aus der Quelle zu ziehen und zu einer peitschenähnlichen Linie zu formen. Doch auch ihm stand der Schweiß im Gesicht und Kurt konnte das Zittern seiner Hände selbst über den Raum hinweg erkennen.
Tanja schaffte es größere Wellen zu erzeugen. Bald würde sie kleine Säulen aufsteigen lassen, doch sie waren noch weit davon entfernt, den Boden nicht mehr berühren zu müssen.
Pat und Mr. Bogda schafften es immerhin, die Flammen leicht in den Becken tanzen zu lassen. Kurt musste ihnen zugutehalten, dass Feuer, neben der Luft, das am schwersten zu kontrollierende Element war.
»Kommt essen.« Pick stand in der Tür und winkte ihnen zu. Der Junge kümmerte sich wirklich um alles, dachte Kurt und stieß sich leicht von der Wand ab. Im Hauptraum empfing sie eine Überraschung. Große Schüsseln mit Reis, Fleisch und duftender Soße standen für sie bereit, sodass Kurt das Wasser im Munde zusammenlief.
»Was haben wir da denn feines?«, fragte Mr. Bogda und blickte gierig erst auf seine Schüssel, dann auf die der anderen. »Brauchst du wirklich so viel Junge? Kannst mir gern die Hälfte abgeben.«
»Lass ihn in Ruhe«, knurrte Kurt und schob sich zwischen Pick und Mr. Bogda. Ein feindseliger Blick, doch das war auch schon alles.
Ein kleiner Wunsch
Nachdem sie ihr Mahl beendet hatten, begaben sich alle zum Training, außer Kurt. Er blieb zurück und blickte an die niedrige Decke. Der Raum begann sich um ihn herum zu drehen und ein altbekanntes Kribbeln kehrte in seinen Körper zurück, jedoch stärker als die letzten Male. Ich brauche was, dachte er und wankte zur Tür. Dahinter stand eine Dienerin bereit, die er noch nicht kannte. Sie machte einen höflichen Knicks zur Begrüßung.
»Sie wünschen?«
»Ich brauche Tawedi«, sagte Kurt und musste sich gegen die Wand lehnen. Es war der schlimmste Anfall, doch diesmal schien er nicht abzuflauen.
»Das kann ich leider nicht machen. Meine Anweisungen sind eindeutig.«
»Bitte«, sagte Kurt. »Frag einfach Piérre.« Verwunderung schlich sich in das Gesicht der jungen Frau, doch der Ausdruck verschwand im nächsten Augenblick wieder. Sie verbeugte sich erneut und entschuldigte sich.
Wieder alleine ließ er sich an der Wand sinken und blieb dort sitzen, in der Hoffnung, der Pochen möge vorüberziehen.
»Alles in Ordnung?« Kurt schreckte auf. Habe ich geschlafen? Wie lange war ich weg? Irritiert suchte er nach der Quelle des gesagten. »Hallo. Hier oben.« Sein Blick wanderte an der Figur vor ihm empor.
»Was ist?“, fragte er.
»Ich will wissen, ob alles in Ordnung ist. Wir haben uns gewundert, dass du nicht nachgekommen bist.« Er sah in das sorgenvolle Gesicht von Tanja.
»Es ist nichts. Mir ist nur ein wenig schwindelig. Gleich geht’s mir wieder besser.« Eine ihrer geschwungenen Augenbrauen schob sich zweifelnd nach oben.
»Wirklich? Du siehst aus, als wärst du halb tot.«
»Es ist wirklich nichts«, sagte er, diesmal mit mehr Nachdruck und zwang sich zu einem Lächeln. »Geh schonmal vor. Ich bin gleich bei euch.« Sie warf noch einen letzten prüfenden Blick auf ihn und kurz schien es, als wolle sie noch etwas sagen, doch dann machte sie auf dem Absatz kehrt und ging.
Es klopfte. Dann wurde die Tür geöffnet und die Dienerin trat ein.
»Entschuldigen Sie die Störung. Piérre sagte, ich soll ihnen das hier geben.« Sie reichte ihm ein kleines Päckchen. Er riss es auf. Eine Pfeife, Feuerzeug und Tabak kamen zum Vorschein. Mit zittrigen Fingern begann er sie zu stopfen.
»Kann ich noch etwas für sie tun?«, fragte sie.
»Nein«, sagte Kurt geistesabwesend. Er ging ins Bad entzündete die Pfeife, nahm einen tiefen Zug und lehnte sich zufrieden gegen die Wand. Das Drehen hörte auf. Zug um Zug fühlte er sich kräftiger, bis nur noch verkohlte Reste im Kopf waren. Aus der Tawedi Pflanze ließ sich ein hervorragender Tabak machen, der günstig war. Und er machte abhängig.
Mit einem Lächeln trat er zu den anderen, die noch schweißüberströmt beim Training waren.
»Gesellst dich auch endlich dazu, was?« Es war Pat, der zitternd vor seinem Feuerschale stand. Zwischen seinen Händen hielt er die Flamme, die nur noch eine dünne Spur mit der Quelle verband. Im nächsten Augenblick riss der Flammenfaden und die Flamme in seinen Händen verging.
»Nicht aus der Ruhe bringen lassen«, sagte Kurt und musste Lachen. Er fühlte sich rundum zufrieden und so stark, als könnte er alles schaffen. Tanja blickte ihn nur einmal stumm an und wandte sich dann wieder ihrem Training zu. Ihre Wellen wurden immer größer.
Knall ließ den Raum erzittern, gefolgt von einer Hitzewelle. Kurt wirbelte herum. Mr. Bogda lag am Boden, seine Hände schwarz verkohlt.
»Was ist passiert?«
»Keine Ahnung. Er wurde wütend und plötzlich schossen die Flammen auf ihn zu«, sagte Pat. Kurt lief zum Ausgang.
»Hol einen Heiler. Wir haben einen Verletzten«, schrie er die verdutzte Dienerin an, die sich aber sogleich auf den Weg machte und keine zwei Minuten später in der Tür zum Kolosseum erschien. Bei ihr war ein Mann mit grimmigem Ausdruck im Gesicht. In der Zwischenzeit hatte Sam sich daran gemacht die Verbrennungen mit Wasser zu kühlen und so die Schmerzen zu lindern. Der Heiler stieß ihn unsanft beiseite und kniete sich neben den Verletzten. Mit geübten Handbewegungen untersuchte er Mr. Bogda, dann schloss er die Augen und man sah seinem Gesicht die Anstrengung an, die es ihm abverlangte. Langsam hellte sich die Haut wieder auf, die Verbrennungen verblassten. Blasen verschwanden, Wunden verheilten. Nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei. Der Atem des Heilers ging stockend, als er sich wiederaufrichtete.
»Es wird wieder«, sagte er knapp und ginge ohne weiteren Kommentar wieder hinaus.
»Er sollte sich eine Weile ausruhen und nicht überanstrengen«, fügte die Dienerin hinzu, ehe sie folgte. Zusammen mit Tanja und Sam, trug Kurt Mr. Bogda in den Schlafsaal und sie betteten ihn auf seine Matratze.
Hinter den geschlossenen Lidern konnte man die Augen hin und her huschen sehen.
»Er sieht aus, als hätte er Alpträume«, meinte Tanja.
»Hat er wahrscheinlich auch. War bestimmt keine schöne Erfahrung«, sagte Kurt und Sam nickte wissend. Sie blieben eine Weile an seiner Seite und auch Pat gesellte sich zu ihnen, der Schreck stand ihm noch ins Gesicht geschrieben. Pick blieb im Salon zurück. Verständlich, dachte Kurt. Er hatte es dem Jungen bisher nicht leicht gemacht. Da würde ich mir auch nicht allzu viele Sorgen um ihn machen.
Sam war der erste, der sich verabschiedete, gefolgt von Pat, der etwas davon stammelte, viel mehr aufpassen zu müssen. Kurt hörte, wie er Pick zu sich rief. Nun waren Tanja und Kurt allein mit dem verletzten Mr. Bogda.
»Was ist wirklich mit dir los?«, fragte Tanja und musterte ihn, halb besorgt, halb wütend. »Du warst so anders nach dem Essen und jetzt auf einmal bist du wieder der Alte?«
»Mir ging es nur kurz nicht gut. Passiert manchmal. Wahrscheinlich habe ich zu wenig getrunken.«
»Ach ja? Und es hat nicht zufällig etwas mit dem Tabak zu tun?«
»Tabak?«
»Ich erkenne Sucht, wenn ich sie sehe. Draußen sieht man so etwas täglich. Die meisten klammern sich dort an etwas und für allzu viele ist es dieses Teufelskraut.« Schuldbewusst blickte Kurt zu Boden.
»Ich hab es unter Kontrolle«, sagte er.
»Das sagen sie alle und am Ende lassen sie einen im Stich.« Tränen schimmerten in ihren Augenwinkeln. »Wir brauchen dich Kurt.«
»Sam weiß auch, wie die Ringe funktionieren.«
»Sam? Vor dem habe ich mehr Angst als vor dem Fleischberg hier.« Sie wies auf Mr. Bogda.
»Ich bleibe. Versprochen. Ich habe es unter Kontrolle.« Er griff sie am Arm und drückte leicht zu. Sie zuckte leicht zurück, hielt seinem Blick aber stand.
»Ich will es hoffen. Es geht hier nicht nur um dein Leben.« Sie entwand sich seinem Griff und verließ den Raum. Stille kehrte ein, nur unterbrochen vom gelegentlichen Stöhnen des Verletzten.
»Was mache ich nur?« Seine Hand wanderte erneut zum Tabaksbeutel. Das Klicken des Feuerzeugs, dann der würzige Geruch in der Luft. Es ging ihm besser. Doch für wie lange würde die Wirkung halten? Er wusste es nicht. Aber konnte er sich jetzt einen Entzug leisten? Nein. Nicht wenn so viel auf dem Spiel stand. Nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das Leben der anderen. Und seine Zukunft. Er steckte den Beutel zurück in seine Tasche und klopfte dreimal drauf. Wenn alles vorbei ist, höre ich auf, dachte er und nickte. Er wachte noch eine Weile über den Schlaf seines Feindes, dann ging auch er zurück.
Alle wurden sie besser und am dritten Tag kam Mr. Bogda zum ersten Mal zurück zu ihnen, auch wenn er sich erstmal darauf beschränkte, sie auf die Stufen zu legen. Tanja verhielt sich ihm gegenüber wieder normal und am fünften Tag lachten sie wieder zusammen.
Die Auslosung
Nach zwei Wochen waren bei allen Fortschritte sichtbar und nach drei Wochen konnte jeder sein Element einigermaßen beherrschen, sogar Mr. Bogda. Es war am ersten Tag der vierten Woche, als drei Diener, zwei Frauen und ein Mann, mit feierlicher Miene in den Raum traten.
»Es ist so weit«, sagte die große Blondine mit tiefer, bedeutungsvoller Stimme. »Die ersten Kämpfe beginnen in einer Woche. Es werden zwei von Euch ausgewählt.« Die Stimmung im Raum änderte sich. Eben hatten sie noch miteinander gelacht. Jetzt hatte sie die Realität wieder.
Es war Pat, der als erstes seine Stimme fand.
»Und wer soll kämpfen?«, brachte er kleinlaut hervor. Die Frau musterte ihn einige Sekunden dann wandte sie ihren Blick wieder der Gruppe zu. »Herr Brandel hat beschlossen, dass das Los entscheiden soll. Der Mann trug eine kleine Truhe bei sich, die er nun öffnete. Das Innere war mit schwarzem Tuch abgedeckt und in der Mitte war ein Schlitz, durch den man seine Hand stecken konnte.
»Legt die Ringe hinein. Diejenigen, die gezogen werden, sollen kämpfen.«
»Gegeneinander?«, brach Tanja hervor.
»Das ist nicht gesagt.« Es war die zweite Frau, fast noch ein Mädchen, dass mit piepsiger Stimmte antwortete. »Das wird an einem anderen Tag entschieden.«
Nacheinander zogen sich alle ihre Ringe vom Finger und legten sie in die Truhe. Kurt zögerte.
»Kann ich auch freiwillig kämpfen?« Die Diener blickten sich erstaunt an und auch die anderen sahen verwundert aus.
»Es ist nicht üblich«, sagte der Diener.
»Was ist schon üblich? Geht es, oder geht es nicht?«
»Es wird wohl gehen«, sagte die ältere der beiden Frauen. »Wenn Ihr unbedingt kämpfen wollt, dann soll es mir recht sein. Udo, zieh den zweiten Ring.« Während der Mann theatralisch langsam in der Truhe wühlte, fing Kurt einen Blick von Mr. Bogda auf, der ihn interessiert musterte. Ein Lächeln huschte über Kurts Lippen. Er hatte zwar gehofft sich noch etwas ausruhen und trainieren zu können, aber das war seine Gelegenheit, sich zu beweisen.
»Erde«, verkündete Udo und hielt den Ring hoch. Tanja stieß einen erstickten Laut aus.
»Wann müssen wir kämpfen?«, fragte Kurt. Er musste sie stützen, denn sie schien plötzlich keine Kraft mehr in ihrem Körper zu haben.
»In zwei Wochen. Herr Brandel möchte jedem die Möglichkeit geben, sich gebührend auf den Kampf vorzubereiten.« Sie nickte der Gruppe noch einmal zu, gab allen ihre Ringe zurück, dann gingen die drei Diener wieder. Keiner sagte ein Wort, nicht einmal Pick, der ansonsten immer geschäftig durch die Räume huschte.
»Kopf hoch«, versuchte es Pat nach einer Weile. »Du bist die Beste von uns. Dir wird schon nichts passieren und wir können dir ja alle helfen, bis es so weit ist.« Sie lächelte matt. Kurt nickte bekräftigend.
Er führte Tanja zu einem Stuhl, dann ging er in Kolosseum.
Sein Blick fiel auf die drei Steine vor seinen Füßen, die mittlerweile allesamt herausgebrochene Stellen hatten. Würde es beim Kampf etwas geben, dass er manipulieren konnte? Es war möglich, jede Art von Materie zu bewegen, doch er hatte nie mehr geschafft, als feste Dinge durch die Luft fliegen zu lassen. Anders als Vater. Er musste die zwei Wochen nutzen, um noch besser zu werden. Zu viel hing davon ab. Er wollte endlich wieder die freie Luft atmen
Mit einem entschlossenen Gedanken sprangen die Kugeln in die Luft und begannen im Kreis zu schweben. Doch wie immer recht nah beieinander, als wären sie ein zusammenhängendes Konstrukt. Wenn er es schaffte, sie zu trennen, hätte er einen Vorteil. Nach und nach kamen die anderen, doch sie schwiegen, nicht einmal Pat versuchte mehr sie aufzuheitern. Alle konzentrierten sich den Rest des Tages auf ihr Training und selbst beim Essen, wechselte niemand ein Wort.
Am nächsten Morgen war Kurt der letzte, der erwachte. Er hatte bis spät in die Nacht trainiert und trotzdem war es ihm nicht gelungen, die Kugeln mehr als nur ein paar Armlängen voneinander zu trennen. Zu wenig, wie er fand.
»Wird auch Zeit, dass du aufstehst“, grunzte Mr. Bogda. Er selbst lag auch noch in seinem Bett, doch er hatte jetzt auch nichts mehr zu leisten, außer, es sich die nächsten Wochen so gemütlich wie möglich zu machen.
»Halt die Klappe.« Quälend langsam schälte er sich aus der Decke und fiel mehr vom Bett, als dass er herausstieg. Jeder Muskel in seinem Körper protestierte und er fühlte sich unendlich alt.
»Gestern ein wenig übertrieben?« Mr. Bogda grunzte selbstgefällig. »Vielleicht solltest du langsamer machen. Nicht dass du schon im Ring eine Krücke brauchst und nicht erst danach.« Kurt funkelte ihn an, doch er bezweifelte, dass es sonderlich einschüchternd aussah.
Im Salon saßen die anderen noch beim Frühstück.
»Ich mach heute Pause.« Die anderen sahen ihn nur kurz an, dann nickten sie.
Das Essen wurde besser. Heute gab es frisches, um genauer zu sein noch warmes, Brot, Wurst, Käse und Salat. Doch Kurt konnte nicht viel Essen. Selbst der Kiefer tat ihm weh und sein Magen rebellierte schon nach wenigen Bissen.
»Was steht heute an?«, fragte er, nach seinem dritten Versuch mit ein und derselben Scheibe.
»Wir wollten heute ein wenig in den Ring«, sagte Pat und sah dabei sehr stolz aus. Tanja nickte. »Das stimmt. Ich will wissen, wie weit ich schon bin.«
»Gute Idee«, pflichtete ihr Kurt bei. »Aber passt auf, dass ihr nicht zu viel kaputt macht.«
»Was meinst du? Wir wollen in den großen Saal«, sagte Pat und stopfte sich noch eine weitere Scheibe in den Mund. Kurt öffnete den Mund.
»Kommt bloß nicht auf die Idee uns das auszureden. Sollen sie doch sehen, wie schlecht ich bin, dann kann ich sie beim Kampf besser überraschen«, sagte Tanja und ihren Augen blitzen streitlustig auf.
»Gar nicht übel eigentlich«, gab Kurt zu und lehnte sich zurück.
Kurz nachdem sich Tanja und Pat auf den Kampfplatz begeben hatten, bildete sich eine Traube um die beiden. Kurt blieb zurück und schaute sich das Spektakel von der Tür aus an, was bedeutete, dass er nur die Rücken der Schaulustigen sehen konnte. Pick stand neben ihm und versuchte sein Bestes um etwas zu erspähen. Tanja hatte ihm verboten mitzugehen.
Nach allem was Kurt hören konnte, war es wirklich eine gute Show, zumindest aber hatten sie die Lacher auf ihrer Seite. Als sie zurückkamen lächelte sie.
»Es ist wirklich viel schwerer die Ringe im Kampf zu benutzen.«
»Was du nicht sagst.« Kurt ging es immer noch nicht besser und er hatte die Vermutung, dass es morgen auch nicht besser sein würde.
»Ich habe eine Idee. Warum bilden wir nicht Teams und nutzen den zweiten Raum als Kampfring? Die anderen können dann hier ihr Training machen«, sagte Pat.
»Klingt gut«, sagte Tanja. »Machen wir gleich weiter, Pat?« Er nickte und zusammen gingen sie in den Nebenraum und kurz darauf hörten sie Gepolter auf dem Kolosseum. Kurt blickte von Sam zu Mr. Bogda und wieder zurück. Er wollte mit keinem von den Beiden in den Ring steigen. Mit Mr. Bogda nicht, weil er Angst hatte ihn zu töten und mit Sam nicht, weil er das ungute Gefühl hatte, es könnte umgekehrt sein.
»Ich mach’s«, sagte Sam mit einem offenen Lächeln. »Keine Sorge. Wir müssen nicht heute anfangen. Ruhe dich ein paar Tage aus oder überlege dir Strategien.« Er hielt ihm die Hand hin und Kurt konnte nicht anders und schlug ein.
»Ich werde einfach nicht schlau aus dir. Mal denke ich du bist die Freundlichkeit in Person und mal denke ich du willst uns alle töten.«
»Gut.« Nur für einen kurzen Augenblick, nicht länger als ein Blinzeln, war es da. Das Lächeln eines Raubtiers. Dann verschwand es und vor Kurt stand der Jedermann, wie er ihn die meiste Zeit vor sich sah. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
»Ich lege mich hin. Hast wahrscheinlich Recht. Ich sollte mich ausruhen. Wir sehen uns später.«
»Gut,« sagte Sam. Mr. Bogda schwieg. Erst als Kurt sich an der Tür noch einmal umdrehte, sah er, wie der Hüne mit seinem Untergebenen sprach. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt, dachte er. Auf jeden Fall musste er besser aufpassen.
Kurt verschlief den ganzen Tag und die Nacht. Es gab nur kurze Phasen, in denen er wach war, um sich noch eine Pfeife anzustecken, oder etwas zu essen. Doch im Gegensatz zu seinen Befürchtungen, ging es am nächsten Morgen wieder. Er spürte noch immer die Belastung des Trainings, doch wenigstens konnte er sich wieder normal bewegen und das hieß, er konnte weitermachen.
»Wollen wir?«, fragte er Sam nach dem Essen.
»Gerne. Aber pass auf, ich bin mittlerweile ganz gut.«
Als ob du es nicht schon vorher beherrscht hast, dachte Kurt, lächelte aber. »Ich werd’s mir merken.«
Möge der Bessere gewinnen
Die anderen begannen sich aufzuwärmen, als sie den Raum verließen.
»Wie wollen wir es machen? Nach welchen Regeln kämpfen wir?«, fragte Kurt und drehte sich um, um die runden Steine zu sich zu ziehen.
Erst im letzten Moment hörte er das Rauschen und sprang zur Seite. Dort wo er eben noch gestanden hatte, schlug ein Wasserstrahl ein, krümmte sich und kehrte wieder zur Quelle zurück.
»Ich dachte wir fangen einfach an«, sagte Sam und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Soll ich warten?« Zur Antwort schickte Kurt die drei Kugeln auf ihn los. Eine Wand aus Wasser schoss aus der Quelle empor und verschluckte sie.
»Das war wohl ein nein.« Wieder rauschte ein Wasserstrahl auf ihn zu. Diesmal war Kurt nicht schnell genug. Es erwischte ihm am Bein und Schmerzen durchzogen seinen Körper als es gewaltsam vom Körper weggedreht wurde. Er verlor den Halt, schaffte es, sich gerade noch rechtzeitig abzurollen. Er versuchte das Bein zu belasten. Es ging, doch es schmerzte.
»Willst du mich umbringen?« Er hat Erfahrung. Weit mehr als ich.
»Nicht unbedingt. Wir trainieren doch nur, aber wenn ich nicht ernst mache, lernst du nichts« Er spielt mit mir. Wie die Katze mit der Maus. Kurt sprang zur Seite und der nächste Strahl ging daneben.
Kurts Blick fiel auf die Steine, die neben dem Becken auf dem Boden lagen. Er bündelte so viel Kraft, wie er konnte und sandte sie los. Die Kugeln peitschten auf Sam zu. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, dann wurde sein Gesicht vom Wasser verdeckt. Die Steine trafen auf das Nass. Sie schaffen es. Ein Triumphschrei lag Kurt schon auf den Lippen, als sich die Richtung des Wassers plötzlich änderte. Die Steine wurden mitgerissen und davon geschleudert.
»Streng dich etwas an, sonst wird es noch langweilig.«
»Ich tue was ich kann«, sagte Kurt, während er zwei weiteren Strahlen auswich. Es fiel im schon jetzt schwer sich auf die Verbindung zum Ring zu Konzentrieren. Wer ist der Typ?
»Schon müde?«, höhnte die Stimme.
»Als ob.« Kurt hatte eine Idee. Er richtete die Energie auf einen der brennenden Schalen. Zitternd erhob sie sich und trudelte auf Sam zu.
»Was soll das denn werden.« Wieder schoss das Wasser auf ihn zu. Beim Ausweichen hätte er beinahe die Kontrolle über die Schale verloren, doch er schaffte, was er wollte.
Dampf stieg aus dem Becken empor, als die Feuerschale auf das Wasser traf. Binnen weniger Augenblicke konnte man die Hand vor Augen nicht mehr erkennen.
»Das ändert doch nichts. Ich kann dich nicht sehen und du mich nicht«, sagte Sam. Kurt blieb ihm eine Antwort schuldig. Wenn er jetzt etwas sagte, wusste Sam wo er sich befand. Aber anscheinend dachte er, dass es nicht für ihn galt. Langsam und mit der Hand immer an der Wand, schlich er in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Seine Schritte verursachten nicht das geringste Geräusch. Wenn ich mit der Magie nicht weiterkomme, dann halt mit der guten alten körperlichen Gewalt, dachte Kurt, als sich vor ihm eine menschliche Silhouette aus dem Dampf schälte. Der Schlag muss sitzen. Seine Muskeln waren zum Bersten gespannt, dann sprang er, die Faust zum Schlag geballt.
Er bemerkte die Falle zu spät. Mit aufgerissenen Augen musste er zusehen, wie die Wasserpuppe vor ihm in sich zusammenfiel. Gleichzeitig sah aus den Augenwinkeln etwas auf sich zufliegen. Er traf ihn mitten in die Seite, trieb ihm die Luft aus den Lungen und schleuderte ihn gegen die Wand.
»Hast du wirklich geglaubt, dass es so einfach wird?«, fragte Sam. Er sah noch einen Fuß auf sich zu schnellen, dann wurde seine Welt schwarz.
Ruhe
»Was ist passiert?« Er hörte die Stimme wie durch Watte. Etwas kaltes wurde ihm auf die Stirn gedrückt.
»Ich weiß es nicht.« Die zweite Stimme war definitiv männlich.
»Du hast doch mit ihm trainiert.« Tanja, zuckte es ihm durch den Kopf.
»Es ging alles so furchtbar schnell. Ich weiß gar nicht was alles passiert ist.«
»Jetzt tue nicht so unschuldig. Das ist wohl kaum von allein passiert.«
»Ich weiß ja nicht was du glaubst, doch wir stecken hier alle im selben Boot. Nur weil ich mit dem Boss hergekommen bis, heißt dass nicht, dass ich ein schlechter Mensch bin«, sagte Sam. Kurt konnte hören, wie Tanja wütend schnaubte.
»Hilf mir wenigstens ihn zu tragen, er kann auf dem nassen Boden nicht liegen bleiben.« Nass?, dachte er. Stimmt. Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Dieser verdammte Mistkerl. Er wollte es laut aussprechen, doch alles was er herausbrachte war ein Stöhnen.
»Er wird wach«, sagte Tanja. »Kurt. Kannst du mich hören? Wie geht es dir?« Zur Antwort bekam sie nur ein weiteres Stöhnen.
»Wir sollten einen Heiler rufen«, gab Sam zu bedenken. Anscheinend waren sie gerade in den Salon getreten, denn plötzlich konnte Kurt noch mehr Menschen hören, die sich um ihn versammelten.
»Was ist bei euch denn passiert?« Pat, dachte Kurt. Eine kleine Hand berührte ihm am Arm. Das muss Pick sein.
»Lass ihn doch einfach liegen, der wird schon wieder. Sam, willst du eine Runde mitspielen?« Mr. Bogdas unnachahmbare Art erkannte er sofort wieder.
»Halt die Klappe und hilf lieber«, sagte Tanja.
Sie mussten jetzt im Schlafzimmer sein. Er wurde in ein Bett gelegt.
»Kann ich noch etwas tun?«, fragte Sam.
»Dich von ihm fernhalten, bis er mir gesagt hat, was los war.«, zischte sie ihn an.
»Schon gut. Er wird dir auch nicht mehr sagen können, als das was passiert ist.«
»Wir werden sehen. Und jetzt geh und spiel Karten mit deinem Boss.« Kurt hörte wie Schritte sich entfernten. Stumm hielt Tanja an seiner Seite Wache. Kurt bekam nicht mit wie lange, denn schon bald war er wieder in tiefen Schlaf versunken.
Als er erwachte war sie fort. Doch ein anderer war dort. Als Kurt die Augen aufschlug dachte er für einen Augenblick Sam würde bei ihm sitzen und ihn höhnisch anlächeln, doch nach einem Blinzeln verwandelte sich seine Silhouette in die von Pat.
»Alles okay bei dir?«, fragte er.
»Geht schon. Hab einen riesigen Schädel.« Als er sich aufrichtete begann sich alles um ihn herum zu drehen, sodass er sich zurück in die Matratze sinken ließ.
»Wie lange war ich weg?«
»Nur ein paar Stunden. Scheinst ganz schön was abbekommen zu haben, was?«
»Ein Unfall. Ich muss mehr aufpassen«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Dafür wird er mir noch büßen, dachte er. Wut flammte ihn ihm auf, doch sie half ihm nicht. Im Gegenteil, von der Wut angestachelt erklommen seine Kopfschmerzen neue Höhen und er konnte nichts weiter tun, als vor Schmerzen zu heulen
Sofort sprang Pat auf und sah sich ratlos um.
»Was soll ich tun? Ich … ich…«, stotterte er, dann drehte er sich um und lief durch die Tür hinaus. Er rief etwas, dann hörte Kurt wie sich wieder Schritte näherten.
»Bleib liegen. Du musst dich noch ausruhen«, sagte Tanja mit freundlicher, aber strenger Stimme einer Frau, die sich Sorgen machte.
»Geht nicht. Ich muss trainieren.« Wieder wollte er sich aus dem Bett stemmen, doch sie hielt ihn zurück.
»Nein, musst du nicht. Du bringst dich noch um, wenn du jetzt wieder daraus gehst. Du musst auf deinen Körper hören. Der Schmerz ist nicht da, weil er Lust darauf hat, sondern weil du es übertreibst. Erzähl erstmal was überhaupt passiert ist.«
»Wir haben trainiert. Und dann gab es einen Unfall. Ich weiß nicht, was genau, es ging alles so schnell«, log er. Er konnte sich an jede einzelne Sekunde erinnern, an die Häme in Sams Stimme, an das Gefühl, als der Wasserstrahl ihn getroffen hatte und an den Tritt. Aber das waren allein seine Probleme und er würde sie lösen.
»Bist du dir sicher?« Ihre Stimme hatte einen forschenden Unterton angenommen und fast etwas Verschwörerisches. »Wenn du mir etwas sagen willst, dann kannst du das gerne tun.« Sie waren allein. Keiner würde es hören, wenn er sich ihr anvertraute.
»Nein. Es war ein Unfall«, beteuerte er und drückte ihre Hand. »Aber du hast Recht. Ich werde mich wohl ein paar Tage ausruhen und euch erst einmal nur zuschauen. Vielleicht kann ich euch noch ein paar Tipps geben.«
»Bis du wieder draußen bist, sind wir längst besser als du.« Sie lachte. Ihre Stimme hallte wie helle Glocken in seinem Kopf wider, doch es war nicht schmerzhaft. Irgendetwas rührte sich in seiner Brust. »Pat macht echt große Fortschritte und ich bin auch nicht schlecht. Vielleicht stehen wir uns mal im Ring gegenüber.« Er lächelte in die Richtung, aus der ihre Stimme kam.
»Vielleicht«, antwortete er und gähnte demonstrativ. »Ich glaube ich schlafe jetzt noch ein wenig, wenn mein Kopf mich lässt. Soll ich in mein Bett gehen?«
»Bleib ruhig liegen. Falls du heute Abend immer noch schlafen solltest, nehme ich einfach deines.«
»Gut. Danke.« Ein Stich in seinem Herzen. Für einen kurzen Moment hatte er gehofft, sie würde sich zu ihm legen.
»Schlaf gut Kurt.« Ihre Lippen berührten seine Wagen. Er spürte, wie er errötete.
Als die anderen spät abends zu ihm ins Zimmer kamen war er tatsächlich erst seit gut einer halben Stunde eingeschlafen. Den ganzen Tag flogen Bilder durch seinen Kopf. Bilder von ihm und Tanja.
Den kompletten nächsten Tag blieb Kurt im Bett und verließ es nur, um etwas zu Essen und um dem Diener vor der Tür so unauffällig wie möglich zu verstehen zu geben, dass er neuen Tabak brauchte, was dieser mit einem diskreten Nicken zu Kenntnis nahm. Das Paket kam am Abend und wurde ihm von Pick gebracht.
»Danke«, sagte Kurt und wuschelte dem Jungen durch die Haare. Pick wusste die Geste zu schätzen, auch wenn er es niemals offen zeigen würde. »Was treiben die anderen?«
»Trainieren. Mr. Bogda ist fett und faul. Der sitzt die ganze Zeit nur rum und meckert über die anderen.«
»Kümmere dich nicht um ihn. Manche Leute sind halt so.« In Wahrheit machte sich Kurt auch Sorgen. In seiner eigenen kleinen Welt war Mr. Bogda wahrscheinlich eine große Nummer gewesen, zumindest dachte er das über sich selbst. Hier war er nur einer von vielen. Gleichgestellt mit allen anderen. Und das machte ihn gefährlich. Wenn man viele Individuen, die sich für Alpha Tiere halten, in einen Käfig sperrt, dann wir es früher oder später Tote geben, dachte Kurt und rieb sich die Unterlippe.
»Wie geht es deiner Mutter?« Pick lächelte ihn wissend an.
»Wieso willst du das wissen?«
»Nur so. Interessiert mich, wie sich die anderen machen.«
»Warum fragst du dann nicht nach Sam, oder Pat?« Verdammtes Balg. Viel zu gewieft, als gut für ihn ist.
»Das hätte ich dich schon auch noch gefragt. Also was ist jetzt?«
»Sam ist so, wie er immer ist. Er macht mir Angst, doch ich weiß nicht wieso. Und Pat ist viel netter, als ich dachte. Er wird besser, weißt du?«
»Habe ich schon gehört. Und was ist mit Tanja?«
»Mama ist die Beste. Was auch sonst? Du musst aufpassen. Wenn du gegen sie kämpfst, macht sie dich fertig.«
»Vermutlich«, bestätigte Kurt und lächelte dem Jungen zu.
»Was ist eigentlich da drin?« Er wies auf das kleine Päckchen.
»Nur etwas, dass ich brauche. Geh wieder zu den anderen, die können deine Hilfe sicherlich gebrauchen.« Pick sah ihn einen Augenblick an, doch fragte nicht weiter. Stattdessen streckte er Kurt einmal die Zunge raus und lief zurück in das Wohnzimmer.
Kopfschüttelnd riss er das Paket auf und begutachtete den Tabaksbeutel. Weniger als letztes Mal, oder irre ich mich vielleicht. Kurt wog ihn abschätzend in den Händen, war sich aber nicht sicher. Achselzuckend stopfte er sich eine Pfeife und nahm einen kräftigen Zug. Geistesabwesend beobachtete er, wie der Rauch durch die dünnen Luftschlitze nach oben gesogen wurde und im Stein verschwand. Es musste eine gewaltige Leistung hinter diesem Komplex stecken. Und das alles für ein wenig Erheiterung der Reichen, dachte Kurt. Er vermisste es zu ihnen zu gehören. Die sinnlosen Ausschweifungen, vor allem die Abende in den Casinos hatte er noch in guter Erinnerung. An manch einem Abend in der Gosse waren sie es gewesen, die ihm am Leben gehalten hatten. Er würde alles tun, um dahin zurückzukehren. Wirklich alles?, fragte eine leise Stimme in seinem Inneren. Er wischte sie beiseite. Die Antwort war Ja. Was es auch koste.
Nach der Pfeife wusch er sich. Dann legte er sich wieder hin. Diesmal jedoch in sein Bett. Morgen geht es weiter.
Und es ging weiter. Als er erwachte, waren die anderen schon wieder trainieren gegangen, oder zumindest beim Frühstück. Er nutzte die Einsamkeit für sein eigenes Training. Er hatte beschlossen, dass es weder mit Kraft- noch mit praktischem Training zu schaffen war, seine telekinetischen Fähigkeiten zu verbessern. Also musste er sich wohl oder übel an eine Disziplin wagen, die ihm schon immer zu wieder war. Meditation. Seine Lehrmeister hatten darauf geschworen und auch von seinen Eltern war er immer wieder in die Richtung getrieben worden, jedoch ohne Erfolg.
Kurt setzte sich auf den Boden und schloss die Augen. Einatmen. Ausatmen. Es gab nichts außer ihn und das Sein. Und das nervige Jucken am Kinn. Er versuchte sich nicht zu kratzen, was er genau drei Sekunden durchhielt. Es war befriedigend dem Drang nachzugeben. Er konnte immer wieder weitermachen.
Nach zehn weiteren Versuchen gab er es auf.
»Es hat einfach keinen Zweck.«, sagte er. »Welcher Depp ist auf die Idee gekommen, dass das helfen soll?« Er hörte seine Lehrer, wie sie ihm die Antwort gaben: Die alten Meister. Und wenn du jemals so gut werden willst wie sie, dann solltest du ihnen nacheifern.
»Argh.« Resigniert warf er sich wieder aufs Bett.
Als er sich selbst genug leidgetan hatte, ging er ins Wohnzimmer, um das zu essen, was die anderen ihm übriggelassen hatten. Es war mehr als genug. Er hatte das Gefühl, dass Tanja dafür sorgte. Sie kann wahrscheinlich sehr furchterregend sein, wenn sie es darauf anlegt, überlegte er, während er eine Scheibe Brot belegte.
»Auch auf den Beinen?« Pat kam herein und setzte sich zu ihm. »Hast dich genug ausgeruht?« Seine Stimme war freundlich und er lächelte ihn an.
»Erstmal ja«, sagte Kurt und zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln.
»Trainierst du wieder mit?«
»Nein. Mein Körper fühlt sich immer noch an, als wäre eine Kutsche drübergefahren.«
»Verstehe ich. Aber pass auf, sonst verlierst du den Anschluss.«
»Keine Sorge. Dich verspeise ich immer noch mit verbundenen Augen.«
»Mag sein, aber gegen mich musst du auch nicht kämpfen.« Er sah ihn mit fragenden Augen an und Kurt nickte. Pat griff sich eine der übrigen Scheiben und biss herzhaft hinein. Auch er veränderte sich langsam. Er sah immer noch etwas mickrig aus, doch mittlerweile war er ein mickriges Etwas mit Muskeln und das nicht zu knapp.
»Und was machst du jetzt den lieben langen Tag?«, fragte er nach dem letzten Bissen.
»Ich denke mir Dinge aus. Das konnte ich schon immer ganz gut.«
»Was soll das bringen?«
»Weiß ich auch noch nicht, aber es kann auch nicht schaden.«
»Stimmt wohl. Naja, ich muss wieder. Tanja wartet.«
»Wo sind die anderen?«
»Pick ist bei uns. Sam und Mr. Bogda? Keine Ahnung. Wahrscheinlich sind sie draußen und schauen sich die Probekämpfe an.«
»Probekämpfe?«
»Ja. Seit unserem kleinen Kampf sind die anderen Gruppen scheinbar nicht mehr aufzuhalten.«
»Wie bei einem Dammbruch«, murmelte Kurt.
»Was?«
»Ach nichts. Viel Erfolg beim Training. Lass dich nicht umbringen.« Kurt hielt ihm die Faust hin.
»Ich gebe mir Mühe.« Pat lachte und stieß seine eigene dagegen.
Interessant, dachte Kurt und beschloss sich die anderen Gruppen einmal genauer anzuschauen. Doch erst einmal esse ich auf.
Der Arzt
Im großen Saal herrschte reges Treiben. Im Ring kämpften tatsächlich Leute gegeneinander, doch er konnte nicht erkennen, wer oder ob sie gut waren. Dicht an dicht standen die Schaulustigen. Die Gewichte schienen hier niemanden zu interessieren. Manche hatten sogar schon Staub angesetzt und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie fortgeschafft wurden.
Ein Schrei war zu hören und für einen Moment herrschte eine Totenstille. Dann begann die Menge zu Jubeln. Ein bärtiger Mann mit Glatze und dickem Bierbauch wurde hochgehoben, was den Trägern viel abverlangen musste, und einmal quer durch den Saal getragen, sodass er fast gegen die Decke stieß. Im Ring blieb der Verlierer zurück und ein Diener. Es war der gleiche Heiler, der sich auch schon um Mr. Bogda gekümmert hatte, nur sah er jetzt deutlich genervter aus, als damals.
»Kommt er durch?«, fragte Kurt.
»Ja doch. Sie kommen alle durch«, sagte der Heiler und würdigte ihm keines Blickes. Blut strömte aus Mund und Nase.
»Sieht echt schlimm aus«, bemerkte Kurt und kniete sich daneben.
»Willst du ihn vielleicht versorgen? Nein? Dann lass mich meine Arbeit erledigen.« Kurt mochte den Kerl. Er war nicht so bedacht freundlich und respektvoll, wie die anderen Diener. An seinem Ring schimmerte ein Stein in einem dunklen Rosa. Vielleicht ein Rosenquarz. Es konnte genauso gut ein anderer Heilstein sein, was sogar wahrscheinlich war, denn Rosenquarz war selten.
Kurt sah zu, wie sich Schweißperlen auf der Stirn des Heilers bildeten. Er erinnerte sich zurück, als sie Heilung an der Akademie durchgenommen hatten. Er selbst hatte keinerlei Talent dafür gezeigt, nicht zuletzt, weil es eine höchst anspruchsvolle Angelegenheit war, in den Körper anderer Lebewesen einzugreifen. Doch dieser Mann schien sein Handwerk zu beherrschen.
Ganz langsam schlossen sich die Wunden und der stetige Strom an Blut verebbte. Nach getaner Arbeit lehnte er sich geschafft zurück und zog einen kleinen Flachmann aus seiner Uniform, die an mehreren Stellen vom Blut seiner Patienten verkrustet war.
»Alles von heute?« Er deutete auf das Blut.
»Da kannst du drauf wetten. Ihr könnt es kaum erwarten, euch gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.«
»So schlimm?« Kurt hatte das Ihr keineswegs überhört, beschloss aber, erstmal nicht weiter drauf einzugehen.
»Heute alleine schon sieben und wir haben noch nicht einmal Nachmittag.« Wie zur Bestätigung seiner Worte, kamen schon wieder die ersten Frauen und Männer zum Ring und warteten gespannt, dass die nächsten Kämpfer den Ring betraten.
»Hilf mir mal, den hier weg zu tragen. Er kann genauso gut am Rand darauf warten, dass er wieder aufwacht.« Es ging leichter als erwartet. Im Gegensatz zu seinem Gegner war der bemitleidenswerte Typ nicht gerade ein Schwergewicht. Trotzdem protestierte sein Körper in jeder Sekunde, in der Kurt mehr tat, als bloß herumzustehen. Er sich schnaufend und mit schmerzverzerrtem Gesicht neben den Ohnmächtigen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte der Heiler.
»Ich habe es ein wenig Übertrieben. Trainingskampf.« Der Heiler verdrehte die Augen.
»Hab ich es nicht gesagt? Ihr könnt es gar nicht erwarten.«
»Du scheinst echt nicht begeistert von der ganzen Angelegenheit zu sein.«
»Da kannst du Gift drauf nehmen. Es ist unnötig. So viel Gewalt.« Kurt musste schmunzeln. Zu seiner Zeit in der gehobenen Gesellschaft hatte man sich schon die ein oder andere Geschichte über die Methoden von Tuck Brandel erzählt. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.
»Was gibt es da zu Lachen?« Er griff wieder zu seinem Flachmann.
»Ich glaube du hast die falsche Stelle.«
»Das will ich aber auch meinen«, lachte er bitter und nahm einen Schluck. Der Bewusstlose regte sich. »Heureka. Er lebt. Verdammt. Der nächste Kampf beginnt.« Er stand auf, straffte seine Uniform und stierte zum Ring. Kurt blieb sitzen.
»Ich bin Kurt. Wie ist dein Name?«
»Gustaph. Wenn du mich entschuldigen würdest. Ich muss den nächsten zusammenflicken.« Jubel ertönte von Masse. Wieder ging einer zu Boden.
Kurt saß noch eine ganze Weile am Rand und beobachtete, wie ein Sieger nach dem anderen davongetragen wurde und wie Verlierer um Verlierer von Gustaph versorgt wurden. Er verfügte über bemerkenswerte Fähigkeiten und genau das machte ihn neugierig. Warum war ein Heiler wie Gustaph in einem Loch wie diesem und nicht im Militär?
Mr. Bogda und Sam sah er kein einziges Mal an diesem Tag. Erst als er am Abend schon im Bett lag und dabei war wegzudämmern, hörte er, wie sich die Tür noch einmal öffnete und die Beiden schweigend eintraten.