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In einem Wald lebte ein kleiner Vogel. Er war noch jung und hüpfte mehr von Ast zu Ast, als das er flog.
Er lernte fleißig, Tag für Tag und bald flog er, wie nur ein Vogel fliegen konnte, zwischen den Bäumen umher und bis in die Kronen hinauf. Doch den Wald verließ er nie, auch wenn er es gerne wollte, doch noch war es nicht an der Zeit.
Eines schönes morgens kamen seine Eltern zu ihm geflogen und setzen sich neben ihn auf einen Ast.
Du kannst nun fliegen, wohin du willst, auch aus dem Wald, wenn es dir beliebt. Doch sei vorsichtig, denn draußen ist es gefährlich. Es gibt Räuber, die dich aus der Luft heraus verspeisen können und ruh dich nicht zu lange am Boden aus, denn auch dort lauert die Gefahr, sprachen sie und blickten ihr Küken, denn das war es noch immer für sie, sorgenvoll an.
Das werde ich, doch ihr braucht euch um mich keine Sorgen machen. Ich bin erwachsen und kann fliegen. Mich wird keiner kriegen, wenn ich es nicht will.
Er flog davon und seine Eltern begleiteten ihn bis zur Grenze des Waldes. Dort zögerte der kleine Vogel, blickte sich noch einmal um und wollte noch etwas sagen. Doch er überlegte es sich anders, schloss die Augen und flog ins Licht der aufgehenden Sonne.
Weit flog er. Über Massen von Wasser, die anderen Tiere nannten es den Ozean, über weite Ebenen von Sand, die Wüste hießen und über andere Wälder und Wiesen. Dann aber kam der kleine Vogel an einen Ort, von dem er noch nie etwas gehört hatte.
Groß war er und in bestimmten Dingen dem Wald ganz ähnlich. Es gab Bäume so hoch wie der Himmel und Flüsse, die sich Kreuz und Quer hindurch zogen. Doch tot waren die Bäume und grau und flach die Flüsse. Trotzdem war dieser Wald immer in Bewegung und die Bewohner, komische Tiere auf zwei Beinen und mit den sonderbarsten Fellen geschmückt, wuselten, wie die Ameisen emsig, von einer Seite des Waldes zur anderen und wieder zurück, doch ohne dabei etwas zu tun.
Was sind das für Tiere?, fragte der kleine Vogel einen Artgenossen, doch ebenso wie dieser Wald, war dieser Vogel grau.
Das sind die Menschen. Sie sind eigentliche ganz nette Zeitgenossen. Geben mir Futter, obwohl sie den ganzen Tag beschäftigt sind, sagte der Vogel und putzte sich sein Gefieder. Da bemerkte der kleine Vogel, dass es doch nicht grau war. Während des Putzens kamen einige stellen eines hellen Silbers zum Vorschein, doch der Rest war so verkrustet, dass es gar nicht mehr zu putzen war und der andere Vogel schien es nicht einmal zu bemerken.
Was bist du eigentlich für ein Geselle, fragte der kleine Vogel.
Ich? Ich bin eine Ratte der Luft, sagte die Ratte, warf sich stolz in die Brust und gurrte Laut. So haben die Menschen uns genannt. Uns soll heißen, mich und meine Schwestern und Brüder.
Das fand der kleine Vogel witzig, denn er kannte die Ratten und sie waren gar nicht wie der Vogel, der neben ihm saß.
Einige Zeit saßen sie noch stumm nebeneinander, bis der kleine Vogel sich wieder in die Lüfte erhob und sich in die leblosen Schluchten des toten Waldes stürzte. Er folgte einem der vielen ausgetrockneten Flüsse und den unzähligen merkwürdigen Tieren, die auf ihm liefen und die eine gänzlich andere Sprache sprachen als er selbst.
Irgendwann wurde er müde und setzte sich auf ein rundes Ding, ähnlich einem ausgehöhlten Baumstumpf und schnaufte tief aus. Was bist du denn für einer?, fragte eine Stimme. Der kleine Vogel blickte sich um, doch konnte nichts entdecken.
Wo bist du?, fragte er und dann sah er, wie sich eine kleine Gestalt aus dem Schatten zweier grauer Bäume schälte. Es war ein Tiger, doch viel kleiner als die, die er kannte. Das Fell des Tieres war grau und schwarz und grau.
Was bist du denn für ein Tiger, fragte der kleine Vogel.
Ich bin kein Tiger, ich bin eine Katze, sagte die Katze. Doch sag, was machst du hier? Du siehst aus, als kommst du von weit her?
Eine Katze? Davon hab ich noch nie gehört. Ich komme aus einem weit entfernten Wald und bin weit geflogen. Und jetzt wundere ich mich über diesen Wald mit seinen Menschen und Ratten und Katzen, sagte der kleine Vogel und blickte umher. Die Katze kauerte sich auf den Boden und machte sich ganz klein. Sie muss überlegen, dachte der Vogel und wartete auf die Antwort. Plötzlich sprang die Katze auf ihn zu. Nur im letzten Moment gelang es dem kleinen Vogel den Krallen zu entkommen und sich in Sicherheit zu bringen.
Was sollte das?, fragte der kleine Vogel.
Ich bin doch so hungrig. Komm bitte herunter, sagte die Katze und der Vogel sah, dass sie ganz ausgezehrt war und man ihre Knochen schon durch das struppige Fell schimmern sah. Da hatte der kleine Vogel zwar Mitleid, doch herunterkommen wollte er nicht mehr.
Geh zu den Ratten der Lüfte, die haben genug, sagte der kleine Vogel stattdessen und machte sich davon.
Er folgte weiter dem Fluss und schon bald hatte der Wald ein Ende und für kurze Zeit war der kleine Vogel wieder frei in der Luft und freute sich darauf wieder grüne Wälder und Wiesen zu sehen und mit anderen Vögeln und Tieren zu sprechen.
Doch er sah keinen solchen Wald.
In der Ferne zu jeder Seite, sah er noch mehr von der Art, die er eben verlassen hatte, doch da wollte er nicht hin. Also flog er Querfeld ein, verließ den Fluss und suchte auch keinen anderen dieser toten Wasserstraßen.
Irgendwann stieg ihm ein Gestank in die Nase, dass er es nicht mehr aushielt und wissen wollte, was da so stank. Er folgte dem Geruch und erschrak sehr, als er die Quelle sah. Es war ein Fluss voll Wasser, neben dem etwas stand, dass der kleine Vogel nicht kannte.
Ebenso Grau wie der Wald, doch kleiner und Rauch stieg aus einem Stamm als würde er brennen und dunkle Flüssigkeit lief ins Wasser, als würde er Bluten.
Er sah wieder die Menschen hinein und hinaus gehen, doch niemand schien etwas zu bringen, oder zu holen und doch kamen und gingen sie immer und immer wieder. Er ließ sich am Rand des Wassers nieder und blickte hinein.
Das Wasser war Schwarz, wie das Blut des merkwürdigen Baumes und es war auch das, was stank. Tote Fische trieben entlang und kein einziger der Menschen schien sich dafür zu interessieren.
Der kleine Vogel blickte hinüber ans andere Ufer und sah, dass sie lachten, sie umarmten und allgemein eine gute Zeit zu haben schienen. Er verstand es nicht und wollte sie fragen, warum es sie nicht interessierte, als er neben sich, in einem Gebüsch, ein Geräusch hörte. Neugierig hüpfte er hin und sah hinein.
Ein Eichhörnchen lag dort, ganz schwach und krank und blickte ihn aus verklebten Augen an.
Was ist mit dir liebe Freundin Eichhörnchen?, fragte der kleine Vogel, denn er kannte die Eichhörnchen aus seinem Wald und mochte und schätzte die Tiere, ob ihrer freundlichen Natur und dem Eifer, mit der sie den Wald pflegten und hegten.
Ach, sagte das Eichhörnchen, ich bin so durstig und krank. Ich kann mich nicht mehr bewegen, denn meine Beine gehorchen mir nicht mehr. Und ich kann nichts mehr sehen, denn meine Augen sind von dem schwarzen Wasser so verklebt und geschwollen.
Warum hast du es denn getrunken?, wollte der kleine Vogel wissen.
Es ist das Einzige was es gibt, mein kleiner Freund. Kommst du denn nicht von hier?
Nein. Ich komme aus einem Wald, voller klarer Flüsse und frischer Erde. Dir würde es dort gut gefallen, sagte der kleine Vogel. Das Eichhörnchen lachte. Das glaube ich gern, mein kleiner Freund. Dann sagte es nichts mehr. Der kleine Vogel wartete noch einen Moment, doch es lag einfach nur da, die Augen trüb und glasig.
Da wurde der kleine Vogel ganz traurig und wusste nicht warum. Selbst, als er weiter flog, wollte seine Trauer nicht verfliegen.
Überall, wo er hinflog, sah er noch Gleiches, also beschloss er zurück in seinen Wald würde seine Reise gehen. Also machte er sich auf, zurück über die grauen Wälder und toten Flüsse, über die Wüste, die keine mehr war, denn der Sand sah schmutzig aus und dort wo keine Flüsse waren, waren jetzt die grauen, die kein Wasser führten.
Weiter ging es über den Ozean, doch er war nicht mehr so lebendig, wie zuvor. An manchen Stellen war er so schwarz wie der Fluss des Eichhörnchens und die Fische, die zuvor unter der Oberfläche tanzten, schwammen nun mit gesenkten Köpfen und husteten mehr, als dass sie sangen.
Dennoch freute sich der Vogel, denn bald schon würde er seinen Wald wiedersehen, mit allen Freuden die er hatte. Es würde ein Fest geben und dann würde er berichten, von seinen Reisen und den merkwürdigen Dingen, die er gesehen hatte.
Beinahe wäre er aus der Luft gefallen, als er nun sah, was vor ihm lag. Es war noch ein Wald, das sah er sofort. Doch ebenso grau und tot wie die anderen war er geworden und seine sprudelnden Flüsse waren grauen gewichen und seine Eltern und Freunde waren fort.
Da er nicht wusste, wohin er sonst sollte, setzte er sich auf eine der flachen Kronen. Sie waren kalt und es war kein Leben in ihnen, sodass es den kleinen Vogel fröstelte. Er weinte und schnell setzte sich ein anderer Vogel neben ihn. Es war eine Ratte der Lüfte, den anderen nicht unähnlich, doch noch nicht so verkrustet.
Was bist du denn für ein Vogel?, fragte sie und beäugte ihn.
Ich? Das war mal mein Wald, doch nun erkenne ich ihn nicht wieder, sagte der kleine Vogel.
Fantastisch, oder?, sagte die Ratte. Hier gibt es Essen im Übermaß. Nur die Menschen haben mehr als wir. Und Wald sagst du? Sie nennen es Stadt, denn sie haben es erbaut. Sie haben alles was man braucht. Mensch müsste man sein, denn sie sind die Größten der Tiere.
Mensch müsste man sein? Ich weiß ja nicht, sagte der kleine Vogel. Irgendwie und ich weiß nicht warum, bin ich froh kein Mensch zu sein.