Lesedauer 4 Minuten

Es war mitten in der Nacht, als sich die beiden Schatten aus dem Dunkel der Mauer lösten und in Richtung des Anwesens schlichen. Ganz langsam, von Deckung zu Deckung, so wie Spinne und Maus es schon dutzende Male vorher getan hatten. Vor ihnen patrouillierte eine Wache. Sie konnten sie nicht sehen, doch wussten sie, dass sie da war. Nicht umsonst war einer von ihnen jede Nacht in den letzten sieben Tagen hier gewesen und hatte beobachtet. Wer ging welche Route, wann genehmigte man sich eine Pfeife, wer war aufmerksamer und wem entging alles? Das Anwesen stand auf einem kleinen Hügel außerhalb der Stadt, von wo aus man alles erkennen konnte, was im Umkreis geschah, doch bei Nacht war dies fast unmöglich, denn nur an den zwei Wegen die zum Anwesen und dem dahinter liegenden See führten, waren Laternen aufgestellt.

Beide Schatten erreichten die Treppe, die hinauf zur großen Terrasse führte, von dort an würde ihr Weg sie trennen. Der Kleinere der beiden tippte dem Größeren auf die Schulter und verschwand dann in den Schatten eines kleinen Baumes, der neben den Stufen stand. Der Größere verharrte regungslos und lauschte aufmerksam. Nach einigen Augenblicken hörte er ein leises Stöhnen, gefolgt von einem kaum wahrnehmbaren Aufprall auf dem Boden. Sein Zeichen. Geräuschlos erklomm er die Stufen und blickte sich auf der Terrasse um. Hätte er nicht gewusst, wonach er hätte Ausschau halten sollen, so wäre ihm die kleine Gestalt neben der Löwenstatue nicht aufgefallen. Er huschte hinüber und lehnte sich an die andere Seite des Sockels.

>>Du kennst den Plan, Maus?<<, flüsterte der Größere der Beiden.

>>Natürlich, ich erledige die Wachen und passe auf, dass niemand kommt, du kümmerst dich um das Haus, Spinne.<<

Spinne konnte es nicht mit Gewissheit sagen, doch er glaubte, Maus mit seiner Frage beleidigt zu haben. Sollte er doch! Die Mission war zu wichtig für die Sache, um zu scheitern…zu viel Stand auf dem Spiel.

>>Richtig, eigentlich solltest du eine ruhige Nacht haben. Der Minister rechnet nicht damit, dass ihn jemand besuchen kommt. Es sind vier vielleicht sechs Wachen.<<

Er wusste, dass Maus das wusste, doch wo er eh schon gekränkt war, machte diese Stichelei auch nicht mehr viel, außerdem nahm sie Spinne die Anspannung vor seiner bevorstehenden Aufgabe.

>>Viel Glück<<, gab Maus nur zurück.

>>Für das Imperium<<, erwiderte Spinne.

Dann trennten sie sich. Spinne lief zur südöstlichen Ecke des Anwesens und verschwand in den Schatten. Einen Moment später sah man eine etwa Katzen-große schwarze Spinne an der Wand empor klettern und durch ein halb geöffnetes Fenster schlüpfen. Wann immer einer von ihnen am Anwesen Stellung gezogen hatte, stand das Fenster offen. Unten hätte keiner von ihnen eine Chance gehabt. Zwar war Spinne im Schlösser öffnen ganz passabel und Maus exzellent, jedoch waren selbst für ihre Fähigkeiten die Schlösser im Erdgeschoss eine Nummer zu groß.

Das Fenster führte in ein großzügiges Schlafzimmer. Im Bett lag ein Kind. Die Spinne betrachtete es kurz und schätzte, dass sie vielleicht zehn, aber garantiert nicht älter als zwölf sein musste. Er wandte den Blick ab und richtete seine Aufmerksamkeit der Tür zu. Spinne verwandelte sich zurück und nun stand der junger Mann nackt, wie von den Göttern geschaffen, vor der Tür, öffnete sie einen Spalt und schlüpfte hindurch.

Sein Ziel lag am anderen Ende des Ganges. Geräuschlos glitt er darauf zu und blickte sich im breiten Flur um. Er fand was er suchte. In einer offenen Vitrine lag ein altertümlich anmutendes Messer. Dann waren die paar Münzen wohl gut angelegtes Geld, dachte er und nahm es. Seine Finger glitten vorsichtig über die Klinge. Sie war scharf. Gut, so würde es schneller gehen. Er blieb vor der Tür am Ende des Ganges stehen und lauschte. Eine, nein, zwei Personen, wahrscheinlich schlafend. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Es war nicht so, dass Spinne seine Aufgabe, die er zu erledigen hatte, genoss, er mochte es einfach, dass er so gut in ihr war. Seine Hand legte sich auf die Klinke und drückte sie vorsichtig nach unten. Wie von selbst glitt die Tür leise nach innen und gab den Blick auf das prunkvolle Schlafgemach des Ministers und seiner Frau preis.

Auch wenn der Minister wohl ein anständiger Mensch war, stand das was vor ihm lag, für alles was falsch in diesem Land lief. Wo er auch hinblickte, überall Prunk und Gold. Da konnte er noch so anständig für das Wohl Forans arbeiten, niemand verdient solch einen Wohlstand durch harte Arbeit, dachte Spinne. Er schlich an das Bett und beobachte das schlafende Paar eine Weile und ergründete seine Gefühle. Trotz der Maßlosigkeit hatte er nichts Persönliches gegen die Beiden. Sie dienten einer Institution, die es abzulösen galt. Wer sich der Zukunft in den Weg stellte, der wird von ihr zermahlen, hatte sein Meister immer gesagt.

Mit zwei geräuschlosen Schritten war er neben der Frau und beugte sich über sie. Als er sich wieder aufrichtete war das Messer voller Blut und die Frau tot. Dann ging er zu dem Minister und wiederholte sein Werk. Nach dieser ganzen Zeit waren ihm die Bewegungen ins Blut übergegangen. Dann schlich er zurück. Vor der Tür des Mädchens blieb er noch kurz stehen und betrachtete den Namen auf Tür stand. Dann öffnete er sie und huschte wieder ins Zimmer. Er legte das Messer auf die Fensterbank und blickte noch einmal auf das Mädchen.

>>Gute Nacht, Isotta.<<, flüsterte er leise, mehr zu sich selbst als zu ihr.

Dann verwandelte er sich wieder in eine Spinne und kletterte aus dem Fenster ins Freie.

Nach wenigen Momenten schritt er wieder als bekleideter Mensch aus den Schatten des Gebäudes hervor, auf die Terrasse und bewegte sich lautlos zurück zu der Löwenstatue.

>>Es waren zehn.<<, begrüßte ihn Maus, jetzt mehr belustigt, als empört.

>>Vielleicht haben sie doch mit uns gerechnet.<<, gab Spinne tonlos zurück. >>Alles erledigt.<<

Und mit diesen Worten zogen sich die beiden Schatten vom Anwesen zurück und verschwanden in der Dunkelheit.