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»Depressionen sind kacke!«, sagte Pete und zündete sich eine Fluppe an. Sofort entspannte er sich und die Mauern, die er mal wieder in seinem Inneren hochgezogen hatte, begannen zu bröckeln und er fühlte sich nicht mehr so eingeengt in seiner Haut.
Mit langsamen Schritten ging er die schmale Treppe auf den Bürgersteig hinunter und versuchte den warmen Frühlingswind zu genießen, der den Rauch davon wehte.
Wann hatte das alles angefangen?, dachte er und zog an der Zigarette, bis sich seine Lungen komplett gefüllt hatten. Er wusste, dass es falsch war, doch es half, wenn auch von Mal zu Mal weniger. Verbarg seine Probleme hinter einem immer lichter werdenden Schleier.
Es mussten jetzt sechs Jahre sein. Seit er studierte, doch woran es lag, wusste er selbst nicht so genau. Vielleicht an etwas, in der Vergangenheit? Er hatte sich diese Frage schon oft gestellt und vieles deutete darauf hin, dass es auch so war. Es liegt oft in der Kindheit, hatte man ihm einmal gesagt. Er lächelte, obwohl ihm gar nicht dazu zumute war, als er an einer Palme vorbeilief. Eine Palme in Norddeutschland, was für ein Irrsinn. Es gefiel ihm. Es gehörte nicht hier hin, doch es gefiel ihm. Wieder verließ ein Rauchschwall seine Lunge und dann seinen Mund.
War es etwas, was er getan hatte? Etwas, das ihm passiert war? Jedes Mal, wenn er auf dem Sofa lag, dachte er daran und dann verurteilte er sich selbst. Es ging ihm doch eigentlich gut, oder nicht? Er hatte einen Job, eine Person, die er über alles liebte, Familie und Freunde, die ihn unterstützten. Es musste ihm doch gut gehen. Doch warum tat es das dann nicht? Warum wollte sein verdammter Kopf nicht einsehen, dass es ihm gut zu gehen hatte?
Er warf die Fluppe in einem hohen Bogen vor sich auf den Bürgersteig und trat sie aus. Er wusste, dass man es eigentlich nicht tun sollte, wegen des Trinkwassers und so und dennoch verspürte er einen kleinen Funken Befriedigung in sich aufkeimen, wenn er es tat. Nimm das Welt.
Vielleicht spiegelten die Depressionen nur das wider, was sein Körper vormachte, reflektierte die Schmerzen aus der Kindheit, die Leiden, mit denen er aufgewachsen und denen er mittlerweile entwachsen war. Doch wenn es so war, wieso ging es ihm dann jetzt nicht besser? Rauchte er deshalb? Weil er wollte, dass es seinem Körper schlecht ging, als Rache für seine Probleme? Nimm das Körper?
Er wusste es nicht. Pete musste sich immer wieder eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, was mit ihm nicht stimmte. Stimmte das überhaupt? Stimmte wirklich etwas nicht mit ihm? Seine Gedanken begannen zu kreisen, immer wieder um seine Probleme. Er drehte sich im Kreis, konnte ihn nicht durchbrechen. Mit zittrigen Fingern, begann er sich eine zu drehen. Tabak rieselte auf den Boden, doch das war egal. Er bemerkte es nicht einmal.
Sobald er den Rauch in seinen Lungen spürte, wurde es besser. War das schon Sucht? Vielleicht. Wahrscheinlich, war es das, musste er sich eingestehen. Kamen die Depressionen daher? Oder kam die Sucht von den Depressionen? Wieder eine Sache, die er nicht wusste, doch zumindest war die Frage neu.
Wieder eine Palme. Warum standen hier plötzlich so viele Palmen? Palmen hatten hier nichts zu suchen, genauso wenig, wie er Depressionen haben sollte. Es war nicht fair, nicht richtig. Pete wurde wütend. Wütend auf alles. Auf sich selbst. Alle Krankheiten. Seine Ärztin. Familie. Freunde. Die Welt. Palmen.
Er nahm einen weiteren Zug. Es half nichts. Er nahm noch einen. Es wurde besser. Noch einen. Alles war wieder gut. Für den Moment. Er fühlte sich machtlos. Ein Spielball in der Welt der anderen, bestimmt von Kräften, die er weder sehen noch verändern konnte. Warum war die Welt nicht kleiner? Würde das etwas an seinen Problemen ändern? Vielleicht. Wahrscheinlich nicht.
War seine Welt wirklich so groß? Wohnung, Arbeitsplatz, Laden, Freundschaften, Ärztin. Alles in ein und derselben Stadt. Alles zu Fuß zu erreichen. Seine Welt war winzig. Reichte es also schon, dass es allein die Möglichkeit gab, dass sie riesig war? Er kratzte sich am Kopf und schmiss den nächsten Stummel auf den Boden und trat drauf. Immerhin gab es Palmen in Norddeutschland, also musste die Welt groß sein.
Er ging auf ein weißes Gebäude zu. Groß und schmucklos. Im Inneren gab es einen Fahrstuhl, doch er nahm die Treppe. Oben angekommen war er außer Atem. Verdammte Zigaretten, dachte er sich und hasste sich selbst fürs Rauchen. Wollte er sich selbst hassen? Wie jeden Tag hatte er mehr Fragen als Antworten und er wusste, dass es noch mehr werden würden. Aber zumindest das wusste er. Das war ein Anfang.
»Wie geht es Ihnen heute?«, fragte die Ärztin ihn und reichte ihm die Hand.
»Depressionen sind kacke.« Er lächelte leicht, als er sich auf das Sofa fallen ließ. Es erreichte seine Augen nicht. »Doch zumindest gibt es Palmen in Norddeutschland.«