Lesedauer 2 Minuten

Es war noch früh am Morgen und trotzdem herrschte am Flughafen schon reger Betrieb. Gruppen von Menschen hetzten von einem Gate zum anderen, unterhielten sich angeregt an den überteuerten Kaffeeständen, oder vertrieben sich die Zeit in einem der vielen Duty-free-Shops.

Roger stand etwas abseits des Stroms und nippte lustlos an seinem Kaffeebecher. Widerlich, dachte er. Merkwürdig, denn eigentlich liebte er Kaffee. Doch heute wollte ihm nichts so wirklich schmecken. Oder um es anders zu sagen, er schmeckte einfach nichts mehr. Er spürte die heiße Flüssigkeit in seinem Mund, doch das Bittere, welches ihm ein treuer Begleiter auf all seinen Reisen geworden war, blieb aus.

Neben ihm auf dem Boden stand seine alte Sporttasche, die so gar nicht zu seinem feinen Anzug passen wollte. Er wunderte sich kurz, warum er heute Morgen nicht seine Aktentasche gegriffen hatte, doch verwarf den Gedanken gleich wieder.

“Es wird schon einen Grund haben”, sagte er leise und nippte erneut an der, mittlerweile nur noch lauwarmen, Flüssigkeit. Die Uhr an der gegenüberliegenden Wand schlug Elf. Es wird Zeit, dachte Roger, sonst verpasse ich noch meinen Flug. Doch warum flog er überhaupt? Und noch dazu an einem Sonntagmorgen? Hatte er einen Termin? Er wusste es nicht mehr. Doch das Ticket in seiner Hand zeigte in fetten Buchstaben GATE E38.

Mit schlurfenden Schritten ging er los, die Sporttasche fest umklammert. Erst jetzt bemerkte er, wie die umstehenden Reisenden ihm angewiderte Blicke zuwarfen.
“Wie sieht der denn aus?”
“Ist ja widerlich.”
“Warum haben die den hier rein gelassen?”

Plötzlich fühlte Roger sich unwohl in seiner Haut. Sein Blick schwirrte umher und endlich fand er das rettende WC-Schild. Er stolperte durch die Tür. Dabei verfing sich sein Jackett am Knauf und er kam ins Trudeln. Seine Tasche wurde ihm aus der Hand geschleudert. Die Tür fiel hinter ihm zu.

Drinnen war es ruhiger. Mit zittrigen Fingern nahm er die Tasche wieder auf. Der Reißverschluss war aufgegangen und zum ersten Mal warf er einen Blick hinein. Und stockte. Rote, gelbe und grüne Drähte. Metallene Zylinder, etwas, das aussah wie eine Digitaluhr und unheimlich viele Lötstellen. Roger kannte solche Gebilde aus Filmen.

“Eine Bombe.”, wisperte er. Warum hatte er eine Bombe dabei? Er wusste es nicht. Wie gelähmt stand er da und blickte auf die blinkenden Lichter. Dann endlich, nach einer halben Ewigkeit, wanderte sein Blick langsam zu den großen Spiegeln über den Waschbecken, obwohl er selbst nicht genau wusste, warum.

Faulende Haut, Eiterbeulen, ausfallendes Haar, gelbe Zähne. Und da wurde ihm klar, warum er nichts mehr schmeckte und warum ihn die Leute so anstarrten. Doch anstelle der Panik, die er erwartet hatte, fühlte er, wie sich eine sanfte Ruhe in ihm ausbreitete. Was sollte ihm schon passieren. Er war ja schon tot. Er richtete seinen Anzug im Spiegel, schloss den Reißverschluss der Sporttasche, warf sie über seine Schultern und öffnete die Tür.

“Lassen Sie mich bitte durch. Ich muss meinen Flug erwischen. Weiß jemand, wo Gate E38 ist?”