Die Nacht war über die Stadt gezogen. Müll säumte die Straßen und keine Menschenseele traute sich noch nach draußen. Vereinzelt flackerten noch die Lichter der Gaslaternen, doch auch sie würden bald erlöschen.
Langsam schlurfte er auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn entlang, das Geräusch seines zu langen Mantels, der über den Boden kratzte, als ständiger Begleiter. In der Ferne sah er, wie hastig eine Gardine vor das Fenster gezogen wurde.
So war es richtig, dachte er. Sollten sie sich ruhig fürchten. Es machte ihm keine Spaß Abend für Abend mit seinem Mantel durch die Straßen zu ziehen, doch Job ist nun mal Job. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er zum ersten Mal diese Straßen bewandert hatte, doch es musste schon lange Zeit in der Vergangenheit liegen.
Immer wieder diese Straße, dann die Nächste und danach die Übernächste und so weiter. Nie passierte etwas und es würde auch heute wieder nichts passieren. So war es nun einmal. Er stellte seine rostige Lampe, die er in der Rechten trug auf eine verwitterte Parkbank und richtete sich den Gürtel. Er war schwer, durch das Gewicht des Revolvers wurde er auf der linken Seite andauernd nach unten gezogen. Hinzu kam, dass er ihm auch noch zu groß war. Trotz der vielen Löcher, die er hineingestochen hatte, wollte er einfach nicht so recht passen. Er zog ihn wieder hoch, nahm seine Laterne und ging weiter. Nicht mal Ratten oder Tauben kreuzten seinen Weg, das Leben selbst hatte wohl beschlossen, nachts einen großen Bogen um ihn herum zu machen.
Jetzt ne Fluppe, hatte er zu Beginn seiner Wacht immer gedacht, daran konnte er sich noch verschwommen erinnern, doch diese Zeit war vorbei. Die Regeln geboten es, dass er eben keine Zigaretten auf den Wegen rauchte. Sie verboten alles, was nicht mit der Ausübung seiner Pflicht zu tun hatte. Er sah, wie ein roter Ball, gleich einem Steppenläufer, über die Straße rollte.
Dumm genug, wer sein Spielzeug vergisst, der braucht es nicht mehr, und mit diesem Gedanken ging er zum Ball. Mit einem kräftigen Stampfer zerplatzte der Ball mit einem Geräusch, dass auch von einer Kanone hätte stammen können. Danach war wieder stille, dann ein Knacken, als würde jemand sehr trockenes Holz durchhacken. Sein Blick verzerrte sich. Langsam drehte sich sein Sichtfeld um die eigene Achse, dann noch einmal. Mit einem dumpfen Aufprall landete sein Kopf auf dem Boden. Er blickte an seinem eigenen Körper empor. Die durchlöcherte Hose, durch die blanke Knochen hindurch schimmerten die verfaulten Überreste seines Oberkörper und die Hand, die wie von selbst zu seinem Gürtel wanderten, die Pistole aus dem Holster löste, nach Hinten zielte und den ungläubig dreinblickenden Mann, mit einem gezielten Schuss von seinem elenden Leben erlöste. Der unglückliche Mann sank auf den Boden und das Schwert, welches er vor ein paar Sekunden noch triumphierend gegen das Skelett geschwungen hatte, entglitt seinen Händen. Der Revolver fand zielsicher seinen Weg zurück in sein Holster. Das Skelett bückte sich, nahm seinen Kopf und setzte ihn wieder auf die blank liegenden Halswirbel. Ein weiteres Knacken durchbrach die Stille der Nacht, als sich Kopf und Halswirbel wieder verbanden. Kurz schüttelte er probeweise den Kopf, dann nahm er wieder seinen Weg auf.
Es gibt nur eine Regel, dachte er. Wer den Weg des Nachtwächters kreuzt, der stirbt. Ein Glück ist heute wieder nichts passiert.